XVII.
Heidegger hingegen entwirft ein ungeschichtliches Bild eines archaischen Zusammenlebens, das in der - vermeintlich - heilen Welt vorindustrieller, agrarischer Produktion herrschte.
Vorgeblich heiles Leben, als Gegensatz zu dem beschädigten, auf dessen sozialisiertes Bewußtsein, das 'malaise', der Jargon spekuliert, wird durch seine eingeschliffene Sprachgestalt, fern aller gesellschaftlichen Besinnung, agrarischen Verhältnissen oder wenigstens der einfachen Warenwirtschaft gleichgesetzt als einem Ungeteilten, schützend Geschlossenen, in festem Rhythmus und ungebrochener Kontinuität Verlaufenden. (29)
Phänomene wie Solidarität, unterdrückte und unterdrückende Klassen, Ausbeutung, arbeitsteilige Mehrwertproduktion etc. sind in dieser Welt unbekannt. Heidegger, der vom Land kam, blieb dem Archaischen seiner Heimat, der Schwarzwaldlandschaft, nicht nur sein ganzes Leben lang treu, er machte es auch zum philosophischen - und politischen - Programm (30); seine Welt und sein Denken blieben archaisch:
Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit seinen Stößen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, dann ist die hohe Zeit der Philosophie. Ihr Fragen muß dann einfach und wesentlich werden. Die Durcharbeitung jedes Gedankens kann nicht anders denn hart und scharf sein. [...] Meine ganze Arbeit aber ist von der Welt dieser Berge und Bauern getragen und geführt. (31)
Diese Archaik im Denken Heideggers, das einen Zustand mythisch-agrarischen Lebens beschwört, macht es zu einem reaktionären, das hinter den Status quo gesellschaftlicher Entwicklung zurücktreten will. Diese ideologische Eindeutigkeit zeigt sich in 'Sein und Zeit' vor allem im Eigentlichkeitsheroismus, der entwickelt wird auf dem Boden des Vorlaufens zum Tode, in dem die Anderen ausgeschlossen werden durch die Verbannung des Mitseins in die Uneigentlichkeit, in dem der Einzelene je nur sein eigenstes Selbstseinkönnen vor Augen hat. Diese faschistischen Kontaminationen lassen Heideggers Engagement nach 1933 als logische Folge seiner Philosophie erscheinen.
Als Beispiel sollen zwei Stellen aus 'Sein und Zeit' und der Rektoratsrede dienen: "Das Vorlaufen erschließt der Existenz als äußerste Möglichkeit die Selbstaufgabe und zerbricht so jede Versteifung auf die je erreichte Existenz." (32) Dieser Aufruf findet 1933 seine Entsprechung in der Forderung Heideggers:
Die zweite Bindung ist die an die Ehre und das Geschick der Nation inmitten der anderen Völker. Sie verlangt die in Wissen und Können gesicherte und durch Zucht gestraffte Bereitschaft zum Einsatz bis ins Letzte. Diese Bindung umgreift und durchdringt künftig das ganze studentische Dasein als Wehrdienst. (33)
Dazu nochmal Ernst Jünger:
Hier wurde das Schicksal von Völkern zum Austrag gebracht, es ging um die Zukunft der Welt. Ich empfand die Bedeutung der Stunde, und ich glaube, daß jeder damals das Persönliche sich auflösen fühlte und daß die Furcht (34) ihn verließ. [...] Inmitten der Massen, die sich erhoben hatten, war es zugleich einsam... (35)
Heroisch läuft der Einzelne, "für die Ehre und das Geschick der Nation", "bis ins Letzte" sich einzusetzen bereit, in seinen Tod vor, während die Anderen "auch" und "mit" da sind: Das Individuum zählt nicht, einzig die Gruppe, das Wir, in dem dennoch jeder vereinzelt auf sich selbst gestellt ist, ist wichtig.
XVIII.
Was bleibt?
Ein Bild: Sartre - geleitet von der ihm eigenen Solidarität für die Rechtlosen dieser Welt - verteilt im Blitzlichtgewitter bestellter (?) Fotografen die verbotene maoistische Zeitung 'La cause du peuple' auf den lärmenden Boulevards von Paris.
Gleichzeitig rudert Martin Heidegger, verkleidet als Kaffeewerber Prof. Klaus Brinkmann von der Schwarzwaldklinik, in einem Fischerboot auf dem schweigenden Schliersee in den Sonnenuntergang.
Und während Sartre mit seinem Beispiel für Gerechtigkeit und Solidarität die Schlagzeilen der Großstadtpresse sicher sind, erhebt Heidegger sein Haupt und diktiert uns tiefsinnige Worte ins Poesiealbum der Philosophie:
Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. [...] Aber der Zuspruch des Feldweges spricht nur so lange, als Menschen sind, die, in seiner Luft geboren, ihn hören können. Sie sind Hörige ihrer Herkunft, aber nicht Knechte von Machenschaften. Der Mensch versucht vergeblich, durch sein Planen den Erdball in eine Ordnung zu bringen, wenn er nicht dem Zuspruch des Feldweges eingeordnet ist. Die Gefahr droht, daß die Heutigen schwerhörig für seine Sprache bleiben. Ihnen fällt nur noch der Lärm der Apparate, die sie fast für die Stimme Gottes halten, ins Ohr. [...] Der Zuspruch des Feldweges erweckt einen Sinn, der das Freie liebt und auch die Trübsal noch an der günstigsten Stelle überspringt in eine letzte Heiterkeit. (36)