Vom Sein und der Brandstiftung

Eine Annäherung an Martin Heidegger

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 4. Oktober 1994. Mehr über Heidegger findet sich in einem Aufsatz über ihn und Sartre. Außerdem geht es in dem Roman "Mein Hund, meine Sau, mein Leben" von Arnold Stadler um Martin Heidegger - am Rande jedenfalls.  
 
 
  "Sehen Sie, Herr Biedermann, ich war ein Weltverbesserer, ein ernster und ehrlicher, ich habe alles gewußt, was sie auf dem Dachboden machten, alles, nur das eine nicht: Die machen es aus purer Lust!", so die erklärenden Worte des Dr. phil. in Max Frischs Stück "Biedermann und die Brandstifter". Im Gegensatz zu den anderen Brandstiftern, die aus "purer Lust zündeln", beteiligt sich der Philosoph aus ideologischen Gründen am großen Feuerzauber. Als Biedermanns Haus schließlich in Flammen steht, sieht er ein, daß er ein nützlicher Idiot war.

Auch für Heidegger gilt, was der Chor über den Philosophen sagt: "... belesen, so scheint mir, und bleich,/ Nimmermehr hoffend, es komme das Gute,/ Aus Gutmütigkeit,/ Sondern entschlossen zu jedweder Tat,/ Nämlich es heiligt die Mittel (so hofft er) der Zweck,/ Ach,/ Hoffend auch er ... bieder-unbieder!" Und so hielt jener, den sie den kleinen Zauberer aus Meßkirch nannten, am 27. Mai 1933 eine Aufsehen erregende Rede, nach der sich einer seiner Schüler fragte, ob er nun die Vorsorkratiker zur Hand nehmen oder in die SA eintreten solle.

Also wieder Heidegger. Wieder ein Buch, das sich mit der Person, dem Denken und den politischen Implikationen beschäftigt. Rüdiger Safranski will außerdem die Geistesströmungen, die diesen beeinflußten. Doch manche Autoren, die für das Verständnis von Heideggers Denken, z.B. Kierkegaard, werden geradezu sträflich vernachlässigt.

Safranski geht den Denkweg Heideggers nach. Er zeigt Motive auf, erklärt Denkstrukturen und -begriffe und paraphrasiert Grundgedanken der wichtigsten Werke. Auch Safranski versucht sich an dem heiklen Unterfangen, Heideggers Parteinahme für die Nationalsozialisten aus dessen Denken nachzuvollziehen. Weitgehend gelingt es Safranski, kritische Distanz zu Heidegger halten. Dann gelingt es ihm, dessen Leben und Werk zu untersuchen. Zuweilen jedoch verfällt er dessen pathetischem Tonfall - und geht ihm auf den Leim. So schreibt der Biograph beispielsweise über ein Gespräch zwischen Heidegger und dem "Grandseigneur des politischen Humanismus", Ernst Cassirer, das auf den "eisigen" bzw. "schneeglitzernden Höhen von Davos" stattfand. Ein Blick auf eine Landkarte hingegen zeigt, daß Davos zwar von imposanten Bergen von mehr als zweieinhalbtausend Metern umgeben ist, selbst aber im Tal auf 1500 Metern liegt. Damit kaum höher als Heideggers Hütte in Todtnauberg, oberhalb von Freiburg, die Safranski in schlechtester Heidegger-Tradition als "Sturmhöhe seines Philosophierens" bezeichnet.

Heidegger selbst hatte 1934, in einem finsteren Augenblick, in einem Aufsatz mit dem Titel "Warum bleiben wir in der Provinz?" geschrieben: "Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit seinen Stößen um die Hütte rast, dann ist die hohe Zeit der Philosophie. Ihr Fragen muß dann einfach und wesentlich werden."

Der Zusammenhang von meteorologischen Ereignissen und der Einfachheit des Denkens ist jedoch höchst fragwürdig - umso mehr, als hier vermeintlich heiles Landleben und Philosophie in einem politischen Kontext erscheinen sollen. Hier beginnt das Spiel mit dem Feuer.

Und der Titel? Der "Meister aus Deutschland" ist, in Celans Gedicht "Todesfuge", niemand anderes als Gevatter Hein höchstpersönlich. In speziellem Fall nicht mit schwarzem Umhang, Sense und Stundenglas, sondern in schwarzer Uniform mit Gasmaske und einer Dose in der Hand, sich über einen Lüftungsschacht beugend...

 
 
  Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Martin Heidegger und seine Zeit. Carl Hanser Verlag, München 1994. 544 Seiten, 58 Mark.  
 
 

  © 1994 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp