Solarstadt Berlin

Heizen mit Sonnenenergie - an politischen Willensbekundungen fehlt es nicht. Doch bisher bleibt es bei kleinen Schritten. Die BEWAG zieht nicht mit.

 
 
  Erschienen im tip, Heft 16/96. Die Ankündigung dieses Artikels zierte das Titelblatt des Heftes.  
 
 
  Morgens 8 ºC und Regen, mittags: 18 ºC und bewölkt. Der diesjährige Sommer verdient kaum seinen Namen. Der Wetterbericht verspricht täglich Besserung. Angesichts dieses enttäuschenden Sommers kommen auch überzeugten Sonnenfans Zweifel, ob Berlin als Solarstadt überhaupt eine Chance hat. Experten kennen derlei Bedenken nicht. Sogar am Nordkap sei Solarenergie möglich. Heißt die Zukunft also doch Solarcity Berlin?

Das Wetter ist nicht der entscheidende Faktor. Der Kampf um die Sonne, um ihre täglich neue, kostenlose Energie wird in ganz andere Sphären ausgetragen. Es geht nicht um Sonnentage und Tmeperaturen - es geht um Politik und Wirtschaft. Peter Strieder, Senator für Umwelt und Technologie, müht sich zwar redlich um die Sonnenenergie, doch angesichts des erklärten Unwillens um ihn herum kann auch er nicht viel ausrichten. Während seine Kollegen Senatoren mittlerweile ein Einsehen haben, tritt die Industrie- und Handelskammer auf die Bremse.

Denn Nutznießer einer solaren Warmwasseranlage sind allein die Verbraucher oder eben die Mieter. Warmes Wasser zum Nulltarif - zumindest im Sommer. Den Vermietern, Bauherren und Investoren bleiben die Kosten - kein besonderer Anreiz, in eine Solaranlage zu investieren. Zumal es für den Einbau solcher Anlagen in Neubauten keine Subventionen gibt. Also sieht der Investor keinen Gewinn in der regenerativen Energie, sondern nur die Mehrkosten gegenüber einer konventionellen Heizungsanlage.

Sind die Aussichten für die Nutzung solarer Energie also doch eher trübe?

Der Senat jedenfalls setzt auf Verordnungen, genauer die Solaranlagenverordnung. In der ist festgeschrieben, daß in fast allen Neubauten 60 Prozent des Warmwasserbedarfes solar erzeugt werden soll. Diese 60 Prozent-Regelung ist zwar von allen Fraktionen des Abgeordnetenhauses ausdrücklich gewünscht, doch die politische Realität sieht anders aus. "In Abstimmung" sei man mit den anderen betroffenen Senatsverwaltungen, lautet das halberhzige Bekenntnis aus der Senatsverwaltung für Bauwesen zur Solaranlagenverordnung. "Das Wie der Umsetzung und vor allem die Finanzierung sind noch nicht geklärt."

Während die Solaranlagenverordnung lieblos hin und her geschoben wird, geht es bei der kostendeckenden Einspeisevergütung zur Sache. Während in Aachen, Bonn und Hamburg ein durchschlagender Erfolg in der Solarenergie erreicht wird, scheitert Berlin immer noch an der ersten Hürde. Auch wenn Umweltsenator Strieder alle Kräfte mobilisiert, die BEWAG stellt ihm immer wieder ein Bein.

"Die in der Koaltionsvereinbarung enthaltene Einspeisevergütung ist ein wichtiger Schritt zur Förderung umweltfreundlicher Energiequellen, auf die wir in Berlin nicht verzichten können." Mit dieser Einsicht steht Strieder nicht alleine. Sowohlin der Öffentlichkeit als auch parteiübergreifend bei den Politikern hat sich die Einsicht breitgemacht, daß eine Wend ein der Energiepolitik nötig ist. Doch der Druck der Öffentlichkeit und drohender Imageverlust sind offensichtlich keine Motivation für den Energiedinosuarier BEWAG.

Das Urgetier weigert sich weiterhin standhaft, Kleinproduzenten von Solarstrom, die ihre Überschüsse ins Netz einspeisen, kostendeckend zu entlohnen. Die solare Kilowattstunde kostet etwa zwei Mark. Die BEWAG zahlt gerade mal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbetrag in Höhe von 17.1 Pfennig. Bei der Begründung versteigt sich Hauptabteilungsleiter Günter Borch in Widersprüche und malt das Gespenst "unattraktiver Wirtschaftsstandort Berlin" an die Wand. Großkunden würden verschreckt und damit die Abwanderung der Industrie provoziert.

Für den Fall der Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung haben aber bereits zwei Unternehmen angekündigt, Produktionsstätten für Solaranlagen in Berlin zu errichten. Derzeit decken etwa 200 Solaranlagen in Berlin 0.00001 Prozent (in Worten: ein Zehntel Promille) des Strombedarfes. Die Kilowattstunde würde um einen Viertel Pfennig teurer. Das wäre einne Preissteigerungsrate von gerade mal einem Prozent. Zur Erinnerung: Der Strompreis ist wegen des Wegfalls des Kohlepfennigs im Januar um 6.4 Prozent gesunken.

Worum geht es also der BEWAG? Ihr geht es um einen doppelten Einnahemverlust. Sie müßte nicht nur den Solarstromerzeugern den Überschuß zu Marktpreisen abnehmen. Due BEWAG fürchtet diebn expandierenden Markt der Solartechnik auch deshalb, weil immer mehr Privathaushalte dazu übergehen werden, ihren Strom selbst zu erzeugen, und der BEWAG als Kundschaft flöten gingen.

Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung, hoffen ihre Befürworter, wird der Teufelskreis aus zu hohen Kosten für die Solarmodule und geringer Nachfrage durchbrochen, der Markt geöffnet für Klein- und Kleinstproduzenten. Das ist auch die Einschätzung von Carsten Körnig von Greenpeace: "Mittel- bis langfristig könnte das solare Engagement das hauptstädtische Steckdosenmonopol der BEWAG gefährden. Doch Widerstand ist zwecklos, ein Sonnenaufgang läßt sich nicht stoppen. Auch bei Licht lassen sich Geschäfte machen."

Im Kampf um die Sonne stehen den Energieversorgungskonzernen wie BEWAG inzwischen nicht nur Umweltorgansationen gegenüber. Die Einsicht, daß fossile Brennstoffe bald nicht mehr zur Energiegewinnung zur Verfügung stehen, hat sich inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerung und bei allen Politikern breitgemacht. Unter dem Vorsitz des ehemaligen saarländischen Umweltministers Jo Leinen soll in den nächsten Jahren in Berlin ein internationales SolarCenter eröffnen.

Die Gründer stellen sich das SolarCenter als Dienstleistungszentrum rund um die Solarenergie vor, mit Messebetrieb und einer festen Ausstellung, einer Mediothek und vor allem geballtem Knowhow. Hier sollen sich Bauherren über regenerative und ökologische Energiesysteme informieren. Die Fachleute wollen jedoch nicht nur beraten, ebenso wichtig wie die Überzeugungsarbeit ist die Frage nach der Finanzierung.

Doch nicht nur in den Reihen der Auftraggeber mangelt es zur Zeit noch am Verständnis für die Anforderungen neuer Technologien für Warmwasserbereitung und Stromgewinnung. Auch die Architekten müssen umdenken und neue Wege beschreiten. Um hier abzuhelfen bietet das SolarCenter Weiterbildung in Solararchitektur an. Der Senat hat inzwischen den Bedarf an solchen Weiterbildungsmaßnahmen erkannt und das Berliner Impulsprogramm zum Energiespar-Transfer ins Leben gerufen, das im Herbst anläuft.

In der Debatte um die regenerativen Energien hängen die Energiversorger offensichtlich weit hinterher. Am Ende geht's wieder nur mit politischen Zwangsmaßnahmen. So wie in den Achtzigern, als die Bundesregierung die Kraftwerksbetreiber per Dekret "motivierte", Rauchgasentschwefelungsanlagen zu installieren. Dann jedenfalls wird das Argument von BEWAG-Vorstand Günter Borch gegen die kostendeckende Einspeisevergütung nicht mehr ziehen, daß für diese Vergütung die politischen Rahmenbedingungen nicht gegeben seien.

 
 
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  © 1996 Werner Pluta, tip; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp