Neue Postleitzahlen für das Internet

Damit Computer weltweit erreichbar sind, bekommen sie eine Nummer. Diese Adressen werden jedoch knapp

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 26. Februar 2004. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Die Zukunft ist vernetzt: Telefone, Autos und sogar die Kleidung werden zahlreichen Szenarien zufolge untereinander verbunden sein. Selbst der Kühlschrank soll einmal mit dem Supermarkt kommunizieren. Damit jedes Gerät angesprochen werden kann, braucht es eine Nummer - genauso wie heute ein normaler PC im Internet. Doch die so genannten IP-Adressen sind inzwischen knapp geworden, sagen Experten. Nur 4,2 Milliarden verschiedene Nummern hält das derzeit verwendete Internet Protocol (IP) - es ist eine Art Postleitzahlensystem des weltweiten Netzes - derzeit parat. Es gibt also nicht einmal eine Adresse pro Erdenbürger.

Ein neuer IP-Standard soll nun Abhilfe schaffen. Seit 1994 arbeiten Informatiker unter Federführung der Internet-Verwaltung Internet Society bereits an einem Nachfolger für das derzeitige Protokoll IPv4, das bereits seit den siebziger Jahren im Einsatz ist. Die wichtigste Neuerung betrifft die Zahl der möglichen Adressen. IPv6 bietet davon fast unendlich viele. Das ist besonders für Europa und Asien wichtig, denn es wird befürchtet, dass die Adressknappheit sich dort zuerst bemerkbar macht. Nur ein Viertel der weltweit verfügbaren IPv4-Adressen sind diesen Regionen zugeordnet. Die übrigen drei Viertel aller IPv4-Adressen gehören hingegen Unternehmen, Regierungsstellen oder Organisationen in den USA.

Die boomende Mobilfunkindustrie hat großes Interesse an IPv6. Das neue Protokoll ist für den drahtlosen Internet-Zugang unerlässlich. "Einige mobile Anwendungen sind erst möglich, wenn IPv6 da ist", sagt Silvia Hagen, IT-Beraterin aus der Schweiz und Autorin eines Buches über IPv6. Das neue Protokoll erlaubt beispielsweise, mit einem Gerät zwischen verschiedenen Mobilfunkstandards wie UMTS oder GPRS zu wechseln, ohne dass die Verbindung neu aufgebaut werden muss.

Die Einführung von IPv6 wird deshalb auch von der Europäischen Union vorangetrieben. "Die Bedeutung von IPv6 für die Wettbewerbsfähigkeit Europas kann gar nicht überschätzt werden", sagt Erkki Liikanen, EU-Kommissar für Unternehmen und die Informationsgesellschaft. Ihre Wettbewerbsfähigkeit läßt sich die Gemeinschaft auch etwas kosten: 2001 stellte die EU-Kommission Fördergelder in Höhe von 55 Millionen Euro für IPv6 bereit.

Der Wechsel des Internet-Protokolls ist ein langwieriger Prozess. Vier Jahre dauerte allein die Entwicklung der Basisprotokolle. Danach wurde noch an Details gearbeitet. "In den vergangenen zwei Jahren wurde IPv6 intensiv weiterentwickelt, jetzt scheint die Zeit reif für seine Einführung", sagt Hagen.

Die Hersteller von Hard- und Software haben die Zeit genutzt und ihre Produkte fit für IPv6 gemacht. Paradoxerweise verhindern gerade diese Weiterentwicklungen, dass sich der neue Standard in Wirtschaft und Industrie schnell durchsetzt. Viele Unternehmen scheuen die teuren Neuanschaffungen aus Sorge um die Stabilität ihrer Computersysteme. Die Netzbetreiber umgehen dieses Problem hingegen, indem sie auf IPv6 umstellen, wenn sowieso Infrastruktur-Erneuerungen anstehen. Bei Rechnern, die Datenpakete durch die Datennetze vermitteln, ist das ungefähr alle vier Jahre der Fall. So wird das Internet Schritt für Schritt auf das neue Protokoll umgestellt. Bis 2006 werden etwa die Hälfte aller Internet Service Provider (ISP) IPv6-Dienste anbieten, schätzt die Unternehmsberatung Gardner Group. Hinter vorgehaltener Hand wird jedoch gemunkelt, dass die großen europäischen ISPs heute schon soweit sind. In der Praxis werden also die beiden Protokolle noch einige Jahre nebeneinander existieren. Das geht, weil das neue IPv6 zum alten IPv4 kompatibel ist.

Ein wichtiger Meilenstein für die Umstellung auf den neuen Standard, da ist sich die IT-Beraterin Hagen sicher, war die Ankündigung des amerikanischen Verteidigungsministeriums, nur noch Hard- und Software zu kaufen, die IPv6 unterstützt. Von 2008 an soll das ganze Netz des Pentagons auf IPv6 umgestellt werden. Damit könnte dieselbe Organisation, die vor mehr als dreißig Jahren den Vorläufer des Internets in Auftrag gab, auch der neuen Technologie zum Durchbruch verhelfen.

 
 
  Unermesslich viele Adressen
 
 
 

 
  © 2004 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 02/04 wp