Internet mit Wachstumsstörungen

Noch immer behindern elektronische Barrieren das Internetwachstum. Auch in Deutschland droht die digitale Zweiklassengesellschaft - die Folgen sind unabsehbar.

 
 
  Erschienen in Net-Business, Ausgabe 9 vom 17. April 2000  
 
 
  „Wir sind nicht langsamer, wir sind nur später dran", vergleicht Martin Ulbrich, 32, Mitarbeiter der EU-Kommission, die Internet-Nutzung in Europa mit den USA. Mit dieser positiven Analyse stand Ulbrich auf der Konferenz "Removing E-Barriers: Ways to faciliate the growth of the Internet in Germany and Europe" in Münster allerdings ziemlich allein da.

Die meisten Anwesenden teilten seinen Optimismus nicht. Vor allem in Deutschland scheint in Lethargie zu verharren. Laut einer vom European Information Technology Observatory in Auftrag gegebenen Studie nutzen in den Vereinigten Staaten 28 von 100 Bürgern das Netz, in Deutschland sind es erst 13.

Doch von Aufholjagd keine Spur. Die Studie prognostiziert für Deutschland nur eine durchschnittlche jährliche Wachstumsrate der Internetnutzung von 16 Prozent zwischen 1999 bis 2005.

Dass auch anders geht beweist Italien. Ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau (erst fünf Prozent der Einwohner sind online) liegt die jährliche Wachstumsrate bei 30 Prozent.

Ein Grund ist für Paul Welfens, 43, Professor an der Universität Potsdam, das Doppelmonopol das die Deutsche Telekom an den aus Telekommunikations sowie den Fernsehkabelnetzen hält. "Während nach der Liberalisierung in anderen europäischen Staaten die Betreiber der Telefon- und Kabelnetze konkurrieren, bestimmt in Deutschland Telekom bis heute das Preisniveau für den Internetzugang", so Welfens.

Und Ulbrich warnt: "Die hohen Internettarife schließen sozial Benachteiligter aus." Für die Offliner wird der Nicht-Zugang zur sozialen Benachteiligung: Die "Information-have-nots" von heute müssen morgen weitere Wege in Kauf nehmen, weil lokale Bankfilialen und Geschäfte schließen haben und ihre Geschäfte im Netz abwickeln; sie stehen auf den Ämtern in der Schlange, statt Behördenvorgänge online zu erledigen; ein Arbeitsplatzwechsel bedeutet oft die Aufgabe des sozialen Umfeldes.

Anders für den Netizen: Der Wechsel des Arbeitsplatzes beinhaltet nicht gleichzeitig eine Veränderung des sozialen Umfelds. Er erledigt seine Arbeit sowie Finanz- und Behördentransaktionen vom heimischen Schreibtisch aus. Eine modernen Zivilgesellschaft, ergänzte Professor Stefaan Verhulst von der Universität Oxford, brauche allgemeinen Zugang zu den Netzen.

Ein weiteres Hindernis hat Bernd Holznagel, 42, Professor am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster und Organisator der Konferenz, ausgemacht: "Der Rückstand Deutschland ist ein Generationsproblem." In Großbritanniens Downing Street, wo der Ausbau des Internet zur Chefsache erklärt wurde, seien die Medienpolitiker alle unter 30. Der Jüngste, der beispielsweise im deutschen Justizministerium etwas zu sagen habe, sei aber 55 Jahre alt.

 
 
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