Gefängniszelle als Messestand

In Köln ging am Wochenende die PopKomm über die Bühne

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 22. August 1995. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung. Der "große Bruder" der Freiburger Europop Days, die in jenem Jahr zum ersten Mal stattgefunden hatten.  
 
 
  Zum siebten Mal trafen sich am Wochenende in Köln die Wichtigen und Möchtegernwichtigen der Musikbranche zur PopKomm, der zweitgrößten Musikmesse der Welt. Keiner wollte fehlen, Plattenlabels und CD-Hersteller, Print- und elektronische Medien, Merchandise-Firmen und On-line-Dienste. Knapp 600 Aussteller präsentierten den 12 000 Besuchern ihre Produkte oder Dienstleistungen, sorgten auch für das leibliche Wohl der Messebesucher.

Phantasie grenzenlos

So luden etliche ihre Gäste zu kühlen Getränken - ein Service, der bei den vorherrschenden Temperaturen dankbar in Anspruch genommen wurde. Bei der Ausstattung der Stände war der Phantasie keine Grenze gesetzt: Ein Berliner Plattenlabel, das sich nach einem berühmten amerikanischen Knast benannt hat, baute stilecht eine Zelle nach, mit Gitterfenstern, Holzpritsche und Blechgeschirr. Ein englisches Label benutzte der Einfachheit halber gleich ihr Reisegefährt, einen roten Londoner Doppeldeckerbus, als Ausstellungsfläche. Eine bekannte Teenie-Zeitschrift bot mit einer elektrischen Rennbahn den Messeteilnehmern die Möglichkeit, den Streß zäher Verhandlungen abzubauen, während nebenan bei einem Plattenlabel ein Friseur willigen Rock-'n'-Rollern die Matte abschnitt

Das war eine Dienstleistung, der viele Langhaarige, die mit Aktenkoffer in der Hand und Handie am Ohr vorbeiflitzten, kaum Beachtung schenkten. Statt dessen nutzten die ohnehin schon kurzhaarigen Raver die Gelegenheit zum Nachschnitt. Das Klappern der Scheren der Figaros hingegen ging unter in einem stetig auf- und abschwellenden Teppich aus Geräuschen, Musik, Gesprächen und aufregenden Performances. Während in den Hallen die Branche dieses Jahr erstmals unter sich blieb, war das Rahmenprogramm für jedermann offen: 300 Bands spielten an vier Abenden in fast 30 Klubs in der ganzen Stadt. Doch viel zu oft waren die Konzerte schon ausverkauft. Wem der Einlaß in die Klubs verwehrt wurde, dem blieb immer noch das Umsonst-und-Draußen-Programm auf dem Ring. Wo sich sonst die Autoschlangen entlangschieben, regierte die Musik. Auf 13 Bühnen konnte man von Jazz über Lokalgröße Zeltinger bis hin zu Chartbreakern alles genießen, was die Popwelt hervorbringt.

Fenster zur Musikwelt

Die Veranstalter nannten es "Fenster zum nationalen und internationalen Musikgeschehen", und die etwa zwei Millionen Zuschauer sahen gern hindurch. Doch trotz des Rekordbesuches und der zunehmenden Akzeptanz deutscher Popmusik im In- und Ausland macht sich die deutsche Tonträgerindustrie Sorgen um den künftigen Absatz von CDs. Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft begründete dies damit, daß digitale Kabeldienste mit vielen Musikkanälen und digitaler Hörfunk vor der Tür stünden. Beide Medien lieferten Musik in CD-Qualität zu relativ geringen Gebühren. Es bestehe die Gefahr, daß das Interesse am Einzelbezug relativ teurer Musiktitel in Geschäften schwinde.

 
 
 

 
  © 1996 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp