Löcher in der Chinesischen Mauer

Zwei amerikanischen Hackern ist es gelungen, einen Server zu knacken, auf dem eines der Filterprogramme installiert ist, mit denen die chinesische Regierung Web-Inhalte blockiert. Außerdem fiel ihnen eine komplette Liste der indizierten Web-Sites in die Hände.

 
 
  Erschienen im inzwischen abgeschalteten Online-Nachrichtenangebot Newsboard.de am 2. Dezember 1998.  
 
 
  Von Dschingis Khan wird der Satz überliefert, Mauern seien nur so stark wie die Männer, die sie verteidigten. Die Chinesen haben in diesem Sinne keine guten Erfahrungen mit ihrer Großen Mauer gemacht. Sie trotzte weder dem Ansturm von Dschingis Khan noch dem der Mandschuren: Die Eroberer aus Norden überwanden im Jahre 1644 ungehindert den Verteidigungswall und bestiegen den verwaisten Drachenthron. Sie gründeten die letzte chinesische Kaiserdynastie, die 1911 von Sun Yatsen abgesetzt wurde.

Nach Berichten von zwei amerikanischen Hackern sind auch heute noch einige chinesische Verteidigungsanlagen unzureichend besetzt - die Firewalls der Webserver im Reich der Mitte. Den Hackern gelang es nämlich, mehrere Firewalls des Tianjin Network of Information of Science & Technology zu knacken, mit deren Hilfe die chinesische Regierung unliebsame Web-Inhalte blockiert. "Sie diktiert, was von unzähligen Menschen in China gesehen und gehört werden kann. Sie macht Bestimmungen und Regeln, wie und wann sie ihr eigenes Volk zensiert und wann die Menschen mit dem, was sie denken oder sagen, das Gesetz brechen", begründen die Hacker, die sich Bronc Buster und Zyklon nennen, ihren Angriff. Außerdem fiel ihnen eine vollständige Liste von Sites in die Hände, die durch die Zensur-Programme blockiert werden. Darunter sind westliche Medien wie die BBC, ABC, Wired, ZD-Net oder News.com, alle Suchmaschinen, aber auch Familienangebote wie Parents.com. Die Filterprogramme stammten, so Bronc Buster und Zyklon, von Sun.

Als Anlaß für den Angriff nennen die Hacker die Inhaftierung des Shanghaier Programmierers Lin Hai, über den das amerikanische Magazin Wired kürzlich noch einmal berichtete. Bronc Buster war auch für den Hack der offiziellen chinesischen Menschrechts-Site im Oktober verantwortlich.

Die chinesische Regierung erwägt juristische Schritte gegen die Hacker. "Das ist in den letzten Monaten der zweite Angriff auf eine chinesische Web-Site von den USA aus. Wenn diese Kriminellen amerikanisches Recht gebrochen haben, werden wir dem nachgehen und sie bestrafen," so Yu Shining, ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington.

An einem anderen Weg, die chinesischen Zensurfilter zu umgehen, arbeitet die Bostoner Hacker-Gruppe "Cult of the Dead Cow" (CDC). Sie entwickelt ein blockadebrechendes Mail-Plugin, das gesperrte Web-Sites per E-Mail nach China schmuggelt. "Das E-Mail-Plugin loggt sich auf einem Proxy-Server ein und mailt die Seite an die Internet-User. Web-Sites zu zensieren ist eine Sache; E-Mails zu zensieren ist jedoch erheblich schwieriger", so CDC-Mitglied Oxblood Ruffin.

Der 'Kult der toten Kuh' unterhält enge Beziehungen zu der chinesischen Hackergruppe Hong Kong Blondes. Ruffin tritt als Sprecher der Hong Kong Blondes auf.

Hacker werden es in Zukunft schwerer haben, chinesische Server zu knacken. Nach einem Bericht in der Montagsausgabe der in Shanghai erscheinenden, englischsprachigen Tageszeitung China Daily hat das Sicherheitsministerium dem Einsatz einer neuen Sicherheits-Software des Unternehmens Beixinyuan Automation Technology zugestimmt.

 
 
 

 
  © 1998 Werner Pluta, Newsboard.de; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 01/02 wp