Der Briefkasten bleibt zu

Die Bundesregierung will Kryptographie im Internet freigeben: Sicherheit der Daten ist wichtiger als Ermittlungen der Polizei

 
 
  Erschienen in der taz am 10. Juni 1999.  
 
 
 

Elektronische Verschlüsselung war bislang ein notorischer Streitpunkt zwischen Netzaktivisten und Wirtschaftsfachleuten auf der einen Seite und den Sicherheitsbehörden auf der anderen. Unter der alten Bundesregierung hatte das Innenministerium wiederholt ein Gesetz gefordert, das Kryptographie Privatpersonen nur erlaubt, wenn sie ihren Schlüssel bei der Polizei hinterlegen.

Am vergangenen Donnerstag hat nun die neue Bundesregierung ihre Position zu Kryptographie und Sicherheit im Internet dargelegt. Das Grundsatzpapier heißt "Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik" (http://www.bmwi.de/ presse/1999/0602prm1.html). Kernpunkt ist die Feststellung, "daß in Deutschland auch künftig Verschlüsselungsverfahren und -produkte ohne Restriktion entwikkelt, hergestellt, vermarktet und genutzt werden dürfen."

Die Bundesregierung befürwortet ausdrücklich den Einsatz von Verschlüsselung zur Sicherung von Kommunikation und wirtschaftlichen Transaktionen im Netz. "Der Einsatz kryptographischer Verfahren ist von außerordentlicher Bedeutung für eine effiziente technische Kriminalprävention", heißt es in dem Dokument. Anliegen der Regierung sei "der verbesserte Schutz deutscher Nutzer in den weltweiten Informationsnetzen durch Einsatz sicherer kryptographischer Verfahren".

Einige der "Eckpunkte" sind freilich kaum mehr als politische Willenserklärungen. Wichtig jedoch sei, meint der Ministeriumssprecher, daß mit diesem Papier sowohl für die Anwender als auch für die Software-Industrie mehr Rechtssicherheit in dieser Frage geschaffen worden sei.

Die neue Haltung der Bundesregierung ist offensichtlich stark von wirtschaftlichen Motiven bestimmt: Die Nutzung von Sicherheitstechnik wird begründet mit "Schäden durch das illegale Ausspähen, Manipulieren oder Zerstören von Daten jährlich in Milliardenhöhe", die Arbeitsplätze gefährden. Datensicherheit selbst werde zum "ernstzunehmenden Faktor im globalen Wettbewerb". Als Konsequenz aus dieser Feststellung setzt sich die Regierung explizit für die Herstellung kryptographischer Produkte in Deutschland sowie für die Abschaffung entsprechender Exportkontrollen ein.

Sichere private Kommunikation, die Datenschutzbeauftragte schon lange anmahnen, scheint dagegen hinter diesen wirtschaftlichen Aspekten zu rangieren. Hubertus Soquat, Fachreferent für Datensicherheit im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), gibt zu, daß die Initiative für den Einsatz von Verschlüsselung zwar aus dem privaten Bereich gekommen sei, die Entwicklung der Kryptographie aber habe erst der Boom des E-Commerce vorangetrieben.

Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Bedürfnissen der Strafverfolgungsbehörden bleibt. Das Dokument geht explizit auf die Kontroverse ein, eine Lösung bietet es jedoch nicht an. In einem abschließenden Fünf-Punkte-Katalog erklärt die Bundesregierung unter Punkt eins, sie beabsichtige nicht, "die freie Verfügbarkeit von Verschlüsselungsprodukten in Deutschland einzuschränken." Im Gegenteil werde sie "die Verbreitung sicherer Verschlüsselung in Deutschland" und das "Sicherheitsbewußtsein bei den Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung" fördern. Der vierte Punkt jedoch, der auf die "gesetzlichen Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden" eingeht, formuliert lakonisch, daß die Überwachung der Telekommunikation durch den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren nicht "ausgehöhlt" werden dürfe.

Genau das aber wird geschehen, wenn die Polizei nur noch unlesbare Briefe abfangen kann. Soquat ist trotzdem sicher, daß damit keineswegs die Einführung des sogenannten key escrow, des polizeilichen Zweitschlüssels durch die Hintertür beschlossen worden sei: "Wenn wir sagen, Verschlüsselung ist frei - von der Entwicklung bis zum Einsatz beim Nutzer -, dann heißt das: kein key escrow. Wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht an ihre Informationen kommen, dann haben sie Pech gehabt."

Eine mißbräuchliche Nutzung von Verschlüsselung sei derzeit kein ernsthaftes Problem. Die zuständigen Ministerien wollen die Situation jedoch in den nächsten zwei Jahren beobachten und dann einen Bericht vorlegen. Man habe, so Soquat, die verschiedenen Interessen - das berechtigte Interesse der Strafverfolgungsbehörden und das wirkliche Gefährdungspotential - gegeneinander abgewogen und sei zu dem Schluß gekommen, "daß die Situation heute nicht so dramatisch ist, daß wir uns zu konkreten Schritten veranlaßt sehen. Auch hier gilt ja der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit."

In den Vereinigten Staaten scheint man indes der neuen deutschen Kryptopolitik skeptisch gegenüberzustehen. So berichtete Wired News Online über das Dokument und kritisierte die angekündigte Förderung der deutschen Verschlüsselungssoftware-Industrie. Das Bedürfnis, den E-Commerce zu schützen, übersteige offensichtlich die Besorgnis über den Mißbrauch von Kryptographie.

 
 
 

  © 1999 Werner Pluta, taz; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 06/99 wp