Internet als Prüfstein für die weltweite Pressefreiheit

Menschenrechtsorganisationen beklagen die Beschränkung der Pressefreiheit im Internet. 20 Staaten gelten bei ihnen als regelrechte Netzhasser

 
 
  Erschienen in Net-Business, Ausgabe 11 vom 15. Mai 2000  
 
 
  "Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten", heißt es in Artikel 19 der UN-Menschenrechtserklärung.

Die Realität hingegen sieht anders aus. Knapp zwei Drittel aller Staaten beschränkt die Pressefreiheit, stellt die Menschenrechtsorganisation Freedom House in ihrer aktuellen Studie über die Presse- und Netzfreiheit, "Censor Dot Gov: The Internet and Press Freedom 2000", fest. Lediglich in 69 der 186 überprüften Staaten sind Internet und Presse frei. In den übrigen 117 Staaten unterliegen gedruckte und elektronische Medien mehr oder minder starken Regulierungen. Freedom House schätzt, dass etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Staaten lebt, die die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken. "Wir haben auch 10 Jahre nach dem ersten internationalen Tag der Pressefreiheit keinen Grund zum Jubeln", bestätigt Barbara Petersen, 48, vom Journalistenverband Reporter ohne Grenzen.

Freedom House hat eine leichte Verschlechterung der Situation seit Mitte der 90er-Jahre festgestellt. Eine Tendenz, die Petersen bestätigt. Zwar sei in einigen Staaten des ehemaligen Ostblocks die Demokratisierung fortgeschritten. In den Konfliktgebieten habe sich die Situation aber verschlechtert.

Vor allem das Internet stellt für die Zensoren eine große Herausforderung dar. Immer mehr Regierungen sehen im weltweiten Informationsnetz eine Bedrohung für Moral und nationale Sicherheit. Für Leonard R. Sussman, Koordinator der Freedom-House-Studie, ein Vorwand für staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit – und das schon seit ihrem Bestehen. "Die Unabhängigkeit des Internets ist der Prüfstein für den Willen einer Regierung, die Pressefreiheit zu fördern und am Leben zu erhalten", so Sussman.

Reporter ohne Grenzen schätzt, dass derzeit 45 Staaten den Webzugang nach den jeweiligen restriktiven Pressegesetzen regulieren. Die Maßnahmen reichen von Zugangsbeschränkungen über eine Registrierungspflicht für Netznutzer bis zur Kontrolle von Inhalten mit Filterprogrammen. 20 Staaten stuft der Journalistenverband gar als Feinde des Internets ein, darunter China, mehrere arabische Staaten und einige ehemalige Sowjetrepubliken. "Dort gibt es so rigide Beschränkungen, dass es wirklich gefährlich für die User wird", beschreibt Petersen.

Beispiele gibt es viele: So verbüßt der Shanghaier Programmierer Lin Hai eine zweijährige Haftstrafe, weil er e-Mail-Adressen chinesischer Surfer an ein amerikanisches Internetmagazin weitergab. Und in der saudi-arabischen Stadt Mekka wurde kürzlich ein Internetcafé für Frauen geschlossen. Der zuständige Sittenwächter sah darin eine Verstoß gegen Religion und Tradition. Nach inoffiziellen Schätzungen sind etwa zwei Drittel der 100.000 saudischen Nutzer weiblich.

Ende 1998 knackten zwei amerikanische Hacker die Computer des chinesischen Tianjin Network of Information of Science and Technology. Dort fanden sie die Filterprogramme, mit denen die chinesische Regierung unliebsame Websites sperrt, etwa die Seiten westlicher Medien oder Suchmaschinen. Die Filter blockieren zudem Familienangebote wie Family.com. Iranische Surfer hingegen dürfen keine Informationen über Sexualität oder Kritisches über den Islam herunterladen.

Die Zensur ist eine zwiespältige Angelegenheit: Einerseits fürchten die Staaten die ungehinderte Kommunikation ihrer Bürger. Andererseits sind sie sich aber auch der Bedeutung des Internets für Wirtschaft, Handel und Kultur bewusst. "Man kann sich dem nicht verweigern, weil es wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ist", erklärt Petersen. "Gleichzeitig stellt das Netz aber eine Gefährdung für ihr autoritäres Regime dar. Deshalb gibt es in Staaten wie Weißrussland kaum eine Möglichkeit der privaten Internetnutzung."

Allerdings bietet das Internet auch die Möglichkeit, zensierte Inhalte weit über das übliche Verbreitungsgebiet hinaus bekannt zu machen, indem diese über das Netz zugänglich gemacht werden. Der Belgrader Radiosender B92 verbreitete nach der Schließung durch die jugoslawische Regierung während der NATO-Luftangriffe sein Programm im Internet über den niederländischen Provider Xs4all. In Staaten wie Algerien oder dem Iran drucken Nutzer aus dem Netz geladene Inhalte aus und verteilen sie. "Das Internet bietet auch die Chance, die Zensur zu umgehen", so Petersen.

 
 
 

 
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