Elektronischer Amtsschimmel

Fast alles kann man im Internet erledigen, nur die lästigen Behördenbesuche nicht. Doch auch das soll sich ändern

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 28. Juli 2003. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Behördengänge sind aufwändig und lästig. Wegen der eingeschränkten Öffnungszeiten müssen Berufstätige oft einen Urlaubstag nehmen, den sie dann in der Warteschlange vor der Amtsstube verbringen. Manches hat sich jedoch geändert, seit die Kommunen eigene Websites betreiben. Hier können sich Bürger bereits vorab informieren, welche Dokumente sie beispielsweise für eine Anmeldung benötigen. Den persönlichen Besuch beim Amt ersetzen solche Webangebote jedoch nicht.

Anders in Passau, Ulm und Bremerhaven. Seit dem vergangenen Herbst können die volljährigen Bürger dieser Städte einige Verwaltungsvorgänge online vom heimischen Rechner aus erledigen. E-Government nennt sich das. Voraussetzung dafür ist ein Computer mit Internet-Zugang, eine Chipkarte - die so genannte Bürgerkarte - und ein spezielles Lesegerät, das an den Computer angeschlossen wird. Lesegerät und Chipkarte erhalten die Bürger während des Pilotprojektes je nach Stadt kostenlos oder zum Preis von rund 20 Euro.

Auf der Bürgerkarte sind mehrere so genannte Zertifikate gespeichert, die den Inhaber ausweisen. Sie enthalten die Identitätsdaten wie Name, Geburtsort oder das Geschlecht, Adressdaten, außerdem eine digitale Signatur. Mit dieser kann der Nutzer digitale Dokumente rechtskräftig unterzeichnen. Ein mehrstufiges Verschlüsselungsverfahren garantiert, dass die digitale Unterschrift echt ist. Es greift zum einen auf einen privaten Schlüssel zurück, der auf der Bürgerkarte gespeichert ist und durch eine Geheimzahl wie bei der EC-Karte gesichert wird. Zum anderen benötigt es einen öffentlich zugänglichen Code, der auf dem Server der Zertifizierungsstelle liegt, von der die Bürgerkarte ausgegeben wurde. Zunächst werden die Daten des zu verschickenden Dokuments vom häuslichen Rechner mit dem privaten Schlüssel verknüpft. So entsteht eine Prüfzahl, die mit dem Dokument an die Verwaltung geschickt wird. Diese lädt den öffentlichen Schlüssel vom Zertifizierungsserver und errechnet aus ihm und der Dokumenten-Prüfzahl eine weitere Prüfzahl. Aus dieser kann auf die Echtheit der Unterschrift geschlossen werden.

Will ein Passauer Bürger online eine Meldebestätigung beantragen, ruft er die Webseite der Behörde auf und weist sich mit seiner Bürgerkarte aus, die er zuvor in den Kartenleser gesteckt hat. Der Computer auf der Gegenseite erkennt den Bürger und erlaubt ihm die für ihn zugelassenen Anwendungen. Der Passauer kann also nur seine eigene Meldebestätigung beantragen und nicht die seines Nachbarn.

Allerdings ist die Resonanz noch verhalten. Etwa zweihundert Bürgerkarten hat die Passauer Verwaltung bisher ausgegeben, was wohl auch daran liegt, dass es gegenwärtig nur zwei Anwendungsmöglichkeiten für die Karte gibt: Neben der Meldebestätigung können die Passauer eine Gesamtauskunft der Daten einholen, die über sie im Melderegister gespeichert sind.

Die beiden Anwendungen sind ideal, um das Passauer E-Government-Modell zu testen: Denn zunächst steht der reibungslose Zugriff auf das gesamte Melderegister im Vordergrund. Außerdem muss das System zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen Anwendungen unterscheiden können - eine Meldebestätigung ist für den Rentenantrag kostenlos, für private Zwecke aber kostenpflichtig. Schließlich sollten auch keine sensiblen Vorgänge berührt werden, für den Fall, dass etwas schief geht. Die Stadtverwaltung hofft jedoch, noch dieses Jahr die polizeiliche Anmeldung per Signaturkarte einrichten zu können. Geplant ist zudem die An- und Ummeldung von Kraftfahrzeugen über das Internet.

Wegen fehlender Anwendungsmöglichkeiten beantragen nur wenige Bürger eine digitale Signatur. Umgekehrt gibt es genau deshalb aber auch nur wenige Anwendungen dafür. Um dieses Dilemma aufzulösen, hat das Bundesinnenministerium im April das Bündnis für elektronische Signaturen ins Leben gerufen, dem unter anderem mehrere Banken angehören. Diese wollen zukünftig EC-Karten mit einer digitalen Signatur ausgeben.

E-Government umfasst jedoch mehr als die Erledigung von Verwaltungsvorgängen von zu Hause aus. Mindestens genauso wichtig ist, dass auch die Abläufe innerhalb und zwischen den Behörden umgestellt werden. "E-Government ist ja nicht, wenn die Bürger elektronisch an die Behörde einen Antrag schicken, den die Behörde auf Papier ausdruckt und dann in die Umlaufmappe legt", sagt Dirk Inger, Sprecher des Bundesinnenministeriums. "Die internen Verwaltungsprozesse müssen so umgestaltet werden, dass alles komplett elektronisch bearbeitet werden kann."

Wie ein weitgehend papierloser Verwaltungsvorgang aussehen kann, demonstriert der Kreis Soest. Dort ist es möglich, Bauanträge online zu stellen. Der Antragsteller, etwa ein Architekt, lädt die Antragsformulare aus dem Internet herunter, füllt sie elektronisch aus und schickt sie zusammen mit den Planungsunterlagen per Mail an die Verwaltung, die den Vorgang als digitale Akte anlegt. So können mehrere Mitarbeiter gleichzeitig auf die Unterlagen zugreifen. Wird der Antrag schließlich genehmigt, erhält der Antragsteller sogar eine Nachricht auf sein Mobiltelefon. Er muss nur einen einzigen Weg zum Amt auf sich nehmen, und zwar, um seinen Antrag persönlich zu unterschreiben. Derzeit gebe es noch technische Probleme mit der digitalen Signatur, berichtet der Politikwissenschaftler Jürgen Stember, der am Projekt "Die digitale Baugenehmigung im Kreis Soest" beteiligt war.

Im Innenministerium steht man den Lösungen aus den Kommunen skeptisch gegenüber. Derzeit gibt es beispielsweise mehr als hundert Verfahren für die Online-Anmeldung eines Autos. Die Entwicklung eines solchen Verfahrens ist nicht nur sehr kostspielig. Es ist auch nicht sichergestellt, dass die verwendeten Datenformate miteinander harmonieren. "Wir wollen, dass eine Verwaltung einmal das nötige Programm entwickelt und andere Verwaltungen es anschließend mit nutzen können", sagt Ministeriumssprecher Inger. Sie hat dazu das Projekt "BundOnline 2005" ins Leben gerufen. In dessen Rahmen will die Bundesverwaltung 400 Dienstleistungen bis zum Jahr 2005 ins Internet bringen, 200 davon sind bereits online. Auf diese Weise will die Bundesregierung nach eigenen Angaben ab 2005 jährlich 400 Millionen Euro sparen.

Nicht alle E-Government-Projekte sind von Erfolg gekrönt, wie das elektronische Fahndungssystem der Polizei "Inpol-neu" zeigt. Bereits zehn Minuten nach Beginn des Probebetriebs brach das System zusammen. Inzwischen gilt das 60 Millionen Euro teure Projekt, das bis Ende dieses Jahres umgesetzt sein sollte, als gescheitert.

Mehr Erfolg hingegen verspricht die Elektronische Steuererklärung ("Elster"). Seit zwei Jahren können Bürger ihre Einkommensteuererklärung über das Internet abgeben - eine Erleichterung für all jene, die ihre Steuer ohnehin am Computer erfassen. Über anderthalb Millionen Steuererklärungen seien bereits online eingangen, berichtet die Finanzverwaltung.

Noch mehr als die Steuerzahler allerdings profitieren die Finanzbeamten von der digitalen Steuererklärung: Sie müssen die Steuerformulare nicht mehr von Hand erfassen. Deshalb wollen einige Länderfinanzverwaltungen ihren Bürgern die Nutzung dieses Dienstes schmackhafter machen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise mussten die Arbeitnehmer zur Steuererklärung 2002 nur noch die Lohnsteuerkarte sowie Bescheinigungen über Kapitalerträge und Spenden in Papierform abgeben - andere Belege bloß auf Verlangen. Außerdem wollen die Finanzämter elektronische Steuererklärungen bevorzugt bearbeiten. Der nordrhein-westfälische Finanzstaatssekretär Harald Noack gibt sich in dieser Frage generös: "Wer uns einen Teil der Arbeit abnimmt, soll dafür auch belohnt werden."

 
 
 

 
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