Dalai Lama - unerwünscht zur 1200-Jahr-Feier
 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 18. Februar 1994. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Weil Verstimmungen mit China befürchtet werden, hat das Auswärtige Amt in Bonn die Stadt Frankfurt davor gewarnt, den 14. Dalai Lama zusammen mit dem Bürgermeister der Partnerstadt Guangzhou (Kanton) zur 1200-Jahr-Feier einzuladen. Das religiöse und politische Oberhaupt der Tibeter sagte daraufhin seine Teilnahme an der Veranstaltung ab. Der Dalai Lama hätte zur Eröffnung in der Alten Oper u.a. vor Bundespräsident von Weiszäcker und dem französischen Präsidenten Mitterand eine Festrede halten sollen.

Der Dalai Lama wurde 1935 in China geboren und 1939 als Reinkarnation des 1933 verstorbenen 13. Dalai Lamas entdeckt. Seit 1940 ist er das Oberhaupt der Tibeter. Zehn Jahre später besetzten die Chinesen Tibet. Nach der Niederschlagung des großen Volksaufstandes im Jahre 1959 mußte er nach Indien fliehen, wo er eine Exilregierung bildete. Seither bemüht er sich um die Geschicke seiner Landsleute, wobei er, ähnlich wie Gandhi, Gewaltlosigkeit als das höchste Mittel der Politik ansieht.

Dementsprechend war auch sein Angebot an die chinesische Regierung, den Tibetern eine relative Autonomie zu gewähren. China sollte nach diesem Konzept weiterhin die außen- und verteidigungspolitischen Geschicke Tibets lenken, die Innenpolitik jedoch abgeben. In Peking stieß das Ansinnen des erklärten Staatsfeindes auf taube Ohren.

Gleichzeitig erteilt der Dalai Lama auch den tibetischen Traditionalisten eine Absage, die für die Fortführung des religiösen Feudalsystems eintreten. Für ihn kommt nach einer möglichen Unabhängigkeit von China nur eine moderne demokratische Regierungsform in Betracht, in der er für sich keinen Platz sieht.

Der Dalai Lama gilt als die 14. Inkarnation des Bodhisattva Avalokiteschwara, der Gottheit von Mitleid und Mitfühlen. In der Tradition des Mahayana-Buddhismus, der in ganz Südostasien verbreitet ist, wird diese Gottheit mit vielen Armen dargestellt, die sie zum Helfen braucht. Deshalb sind für ihn Wohltätigkeit und Milde wichtige Prinzipien des Handelns.

 
 
 

  © 1994 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp