Strahlentod von 241 Menschen eingeplant

Neue Enthüllungen über US-Atomtest aus dem Jahr 1954

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 6. April 1994. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Das nukleare Mentekel des Kalten Krieges läßt die USA nicht los. Nach den Enthüllungen über Versuche mit verstrahlten Substanzen (die Berliner Zeitung berichtete) wurde jetzt bekannt, daß die US-Militärs bei Atomtests vor 40 Jahren wissentlich den Tod von über 200 Menschen uin Kauf nahmen.

Am 1.März 1954 um 5.50 Uhr Ortszeit detoniert auf dem Bikini-Atoll in einem gleißenden Feuerball die Wasserstoffbombe "Bravo" und hinterläßt einen Krater von 400 Metern Tiefe und einem Kilometer Durchmesser. Die Sprengkraft der bis dato größten Bombe entspricht der von 17 Millionen Tonnen konventionellem Sprengstoff TNT oder tausend Hiroshima-Bomben. In den folgenden Stunden treibt der für diese Jahreszeit ungewöhnliche Nordwestwind Wolken mit radioaktivem Staub auf die rund 200 Kilometer entfernten Inseln Ailingnae, Utirik und Rongelap zu.

Schwere Vebrennungen

Als die insgesamt 241 Bewohner der Inseln zwei Tage später von der US-Marine evakuiert werden, haben sie Strahlendosen von bis zu 20 000 Rem aufgenommen. (Zum Vergleich: Hierzulande wird die zulässige Höchstbelastung von Bediensteten in Kernkraftwerken mit 1.5 Rem pro Jahr angegeben.) Man bringt sie zum US-Stützpunkt Kwajalein, wo sie unter ärztliche Aufsicht gestellt werden. Die meisten der Evakuierten haben Verbrennungen und schwere Hautreizungen, die auf die Strahlenbelastung zurückzuführen sind; viele verlieren zumindest einen Teil ihrer Haare. In den folgenden Jahren treten überdimensional viele Fälle von Leukämie, Schilddrüsen- und anderen Krebsarten sowie eine Häufung von Fehl-oder Totgeburten auf. Noch heute stehen die Nachkommen der Strahlenopfer unter regelmäßiger medizinischer Aufsicht.

Nach Bekanntwerden der Katastrophe beriefen sich die US-Militärs darauf, daß die Änderung der Windrichtung nicht abzusehen gewesen sei. 1985 mußten sie einräumen, vier bis sechs Stunden vor Testbeginn von der Drehung des Windes informiert gewesen zu sein: Ein Journalist hatte herausgefunden, daß zum besagten Zeitpunkt ein Schiff der US-Marine, dessen Identität noch immer unbekannt ist, Wetterbeobachtungen in der Zone durchführte und entsprechende Ergebnisse unter dem Funkcode "5020" an zwei US-Wetterstationen durchgab.

Greenpeace forschte nach

Greenpeace hat jetzt die Originalwetterkarten aus dem Jahre 1954, auf denen auch die Messungen von "5020" vermerkt sind, von einem Wissenschaftler des Hamburger Seewetteramtes auswerten lassen und kam zu ganz anderen Ergebnissen. Danach zeichnete sich die "nicht absehbare" Änderung der Windrichtung bereits seit dem 24.Februar ab. Spätestens seit dem 27.Februar war klar, daß der Wind die radioaktive Wolke nicht nach Westen auf die offene See, sondern nach Südosten auf das Rongelap-Atoll zutreiben würde.

Nach diesen Kenntnissen, so der Hamburger Wissenschaftler, hätten die US-Militärs spätestens 28 Stunden vor Testbeginn den Countdown abbrechen müssen. Statt dessen zogen sie die "5020" in sichere Gewässer ab, ehe sie "Bravo" explodieren ließen, was beweist, daß sie sich im Klaren waren über die Folgen der Explosion. Die Inselbewohner aber wurden wissentlich der Verstrahlung überlassen - ein Menschenversuch, der "wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen von Strahlen auf den Menschen" lieferte, wie ein Beamter der Atomenergiebehörde 1956 zynisch in aller Öffentlichkeit zugab.

 
 
 

  © 1994 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp