Ausgezeichnetes muß nicht ausgezeichnet sein

Am 1. März werden in Los Angeles zum 37. Mal die Grammy Awards verliehen

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 28. Februar 1995. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Was dem Sportler das olympisches Gold, dem Filmemacher der Oscar und dem Bürger das Bundesverdienstkreuz, das ist dem Musiker ein "Grammy Award" der "National Academy of Recording Arts and Sciences". Also treffen sich am Mittwoch Musiker, echte und Möchtegern-Stars, Jetsetter - eben all jene, die sich im Blitzlichtgewitter der großen Glamour-Veranstaltungen sonnen -, um an der 37. Verleihung der Grammies teilzunehmen.

Über 70 Preise in Rock und Klassik wollen verteilt sein, vom "Album des Jahres" über die besten männlichen und weiblichen Stimmen in den Sparten Rock, Country und Pop bis hin zu solch speziellen Kategorien wie "beste Instrumentaleinspielung" oder "beste Instrumentalkomposition".

Karrieren beflügelt

Ein Grammy zur rechten Zeit hat schon mancher Karrierekurve einen steilen Knick nach oben verschafft. Also werfen sich die bösen Buben des Rock 'n' Roll in Schale, binden sich die Krawatte um und treten brav verkleidet zur Verleihung an. - Meist jedoch vergeblich.

Wer nämlich glaubt, von den Gewinnern der Grammies würden neue musikalische Impulse ausgehen, irrt. Je fünf Nominierungen auf sich vereinigen konnten Elton John, Bonnie Raitt, Bruce Springsteen und Sheryl Crow. Von denen ist nur die letzte neu im Geschäft. Alle anderen standen nicht seltener als zwölfmal auf der Nominierungsliste und konnten jeder schon mindestens zwei Grammies absahnen.

Wenig Spannung

Wie diese liegen auch die Verdienste anderer, die sich Hoffnungen auf einen Grammy machen können, schon weiter zurück. Doch ebenso wie die Nominierungen sind auch die späteren Preisverleihungen recht fragwürdig. So bekam allein Eric Clapton 1993 sechs Preise, wurde sowohl zum besten Rocksänger als auch zum besten Popsänger gewählt.

Die von verschiedenen Seiten immer wieder geäußerte Kritik an der Jury, sie lasse sich bei der Vergabe der Preise eher von kommerziellen als von qualitativen Erwägungen leiten, scheint demnach berechtigt. Demnach dürften auch dieses Jahr einige Wettbewerbe wenig spannend ausfallen. Zum Beispiel der neueingerichtete Preis für das beste Rockalbum: Aufgestellt sind nämlich unter anderem Neil Youngs Scheibe "Sleeps with Angels" sowie "Voodoo Lounge" von den Rolling Stones. Da beide noch nie einen Wettbewerbsgrammy erhielten, bleiben den Mitbewerbern wohl wenig Chancen.

Das gilt auch für die "Single des Jahres": In den letzten Jahren wurden die Filmmusiken der Walt Disney-Produktionen "Die Schöne und das Biest" und "Aladdin" ausgezeichnet. Insofern dürfte es Elton John leicht haben mit seinen beiden Nominierungen zur Single des Jahres: Beide Songs stammen aus dem Disney-Streifen "Der König der Löwen".

Ganz wirkungslos geblieben ist die Schelte für die Jury jedoch nicht. In diesem Jahr wurden doch mehr junge Musiker nominiert als in den vergangenen. In den Wettbewerben werden sich wohl dennoch diejenigen durchzusetzen, die schon in langen Jahren Ruhm erworben haben. Symptomatisch ist der Grammy für lebendiges Legendentum.

Unvergessene Blamage

Mit den Grammies ist es mithin ähnlich wie mit den Oscars: Ausgezeichnetes ist nicht notwendigerweise auch ausgezeichnet. Gern erinnert man sich des Falles von dem Gesangsduett Milli Vanilli, die 1990 zum Newcomer des Jahres gekürt wurden, ihren Grammy aber zwei Jahre später zurückgeben mußten: Sie hatten ihre Songs nicht selbst gesungen, sondern singen lassen.

 
 
 

  © 1995 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp