Auf der Suche nach dem wahren Blues

Der Wahllondoner Nick Cave und seine Band Bad Seeds gastieren heute abend in Berlin

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 4. Mai 1994. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Nach der Auflösung der Band "The Birthday Party" verschrieb sich deren Sänger Nick Cave dem Blues. Jetzt hat er mit "Let Love In" sein achtes Album veröffentlicht. Vor zehn Jahren, im Titelsong seines Soloalbums "From Her To Eternity", beschrieb Nick Cave, wie er gebannt in seinem Zimmer saß und auf die Schritte seiner Nachbarin über ihm hörte. Das Begehren, sie zu besitzen, saß ihm wie ein Nagel im Fleisch. Doch der Sänger versagte sich die Erfüllung.

Heute kommt dieser Sänger mit einem Album daher, auf dem Das Wort "Liebe" geradezu inflationär zu finden ist: "Let Love In", so der Titel, mit Stücken wie "Loverman", "Do You Love Me (Part 1 und 2)?". Allerdings ist diese Gefühl für Nick Cave - verheiratet und Vater eines Sohnes - immer noch ein zweischneidiges Schwert. Die Zwillinge der Liebe heißen Verzweiflung und Täuschung, die Geliebte ist die Strafe für vergangene Sünden. Das Titelstück "I Let Love In" scheint eher eine Warnung. Auch in einer Liebeserklärung auf Leben und Tod bleibt im Refrain nur die zweifelnde Frage: "Do you love me - like I love you?" Die religiösen Anspielungen der letzten Platten sind hier aber stark zurückgegangen. Offensichtlich hat die Bibel als Inspirationsquelle für das Songwriting an Bedeutung verloren.

Das soll jedoch nicht heißen, daß sich die Musik der Bad Seeds verändert hätte. Die Stücke sind immer noch eine Mischung aus Rock-Songs, angereichert mit einem Schuß Hochgeschwindgikeits-Rockabilly, Blues-Stücken und melancholischen Balladen. Schöne Arrangements mit schrägen Background-Chören, psychedelischen Gitarren und einer Hammond-Orgel.

Während die Studioproduktionen in den letzten Jahren immer glatter wurden, zeigt Nicholas Edward Cave auf der Bühne erst, was wirklich in ihm steckt. Hier wird wieder die Energie sichtbar, die die australische Band "The Birthday Party" zu Anfang der Achtziger bekannt machte, als Nick Cave und Konsorten die Reste der europäischen Punkbewegung wie harm- und geistlose Schuljungs aussehen ließen. Live wird der Wahllondoner glaubwürdig. Wenn er verausgabt dasteht, dann glaubt man, daß eine Frau "Jack the Ripper" (Songtitel) schreit, wenn er sie zu küssen versucht. Dann zuckt auch jede Faser im Körper des Zuschauers und er erkennt: Das ist der wahre Blues!

 
 
  Nick Cave heute im Tempodrom, 20.00 Uhr. Morgen 17 Uhr im Fnac-Kulturforum, Meinekestraße 23, Autogrammstunde mit dem Sänger.  
 
 

  © 1994 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp