Halbgötter in Weiß

Die Ärzte brachten das Tempodrom zum Kochen

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 9. Oktober 1995. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Britta, 16, aus Neukölln fand es "einfach nur toll", ist aber so außer Atem, daß sie kaum noch einen Ton rauskriegt. Ulf, 23, aus Pankow kommt aus dem brechend vollen Zelt und wringt erst mal sein T-Shirt aus. Keine Frage, daß er es gut fand, nur mag er die alten Stücke lieber. Sein Freund Sven bestätigt: "Die hatten mehr Biß, und lustiger waren sie auch." Nebenan formiert sich eine junge vierköpfige Familie zum Abmarsch..

Doch der Reihe nach: Es wurde dunkel im Tempodrom, und die Ärzte betraten unter tosendem Jubel die Bühne - um ihre Vorband Wizo anzusagen. Und Wizo verabschiedeten sich nach ihrem viersprachigen (englisch, französisch, schwäbisch und hochdeutsch) Set mit der Ansage, daß gleich drei ältere Herren die Bühne betreten würden, und daß man doch bitte nett zu ihnen sein sollte.

Dann ging's los. Im Nu verwandelten die drei Ärzte das Tempodrom in einen Hexenkessel. Schon nach dem dritten oder vierten Stück taumelten die ersten wieder Richtung Ausgang und Frischluft. Die Menge wogte, und die Tribüne erzitterte.

Die Herren Doktor med. Pogo ließen nichts anbrennen. Ein Hit jagte den anderen, alle vom vielstimmigen Chor des Publikums lauthals mitgegröhlt. Egal ob es sich um alte Stücke wie "Die fette Elke" oder Songs der letzten Scheiben handelte. Dazwischen immer wieder längere Ansagen mit dem Ärzte-typischen Humor. Bela, Farin und Rod konterten souverän den Vorwurf, ältere Herren zu sein, mit der Ansage: "Jetzt kommt ein alter Song. Der ist so alt, da waren die Wizos noch in Mamas Bauch." Bela nutzte zudem geschickt die Gelegenheit zur Wahlpropaganda. Als dekadenter Rockstar buhlt er bei der bevorstehenden Wahl als Kandiat der KPD/RZ (Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum) um die Gunst der Wähler.

Ob Politik oder Liebe: Das buntgemischte Publikum genoß die Sprechstunde bei den Halbgöttern in Weiß. Von vierzehn bis vierzig tanzten alle wild durcheinander zum Sound von Deutschlands beliebtester Teenie-Punk-Band. Für die Ärzte ist man wohl nie zu alt - ebensowenig wie für Liebe, Sex und Aknepickel.

 
 
 

  © 1995 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 12/99 wp