Hallo, hier Uni-Radio

Seit 15. Januar versucht ein neuer Sender, das studentische Leben in Berlin zu bereichern. "uniRadio" funkt eine Stunde täglich vom, für und um den Campus.

 
 
  Erschienen im tip, Heft 3/96.  
 
 
  Montag, 15. Januar, 16 Uhr. Im Erdgeschoß der Thielallee 50 herrscht Ruhe. Nichts deutet auf den Sendestart des uniRadios Berlin-Brandenburg. Die freien Mitarbeiter scherzen auf den Gängen oder gehen im Computer die Nachrichten durch. Tagesredakteur Paul Gronert hat schon bei "Radio 100.000" Erfahrung gesammelt, für ihn ist Sendevorbereitung nichts Neues. Sebastian Erb kommt mit wippendem Pferdeschwanz und einem Stapel CDs unterm Arm an. Er ist heute für die musikalische Unterstüzung des Wortes zuständig. Noch einmal gehen der Tagesredakteur, der Musikbeauftragte und die Moderatorin Anke Sontowski die Sendung durch. Der Sendeplan steht, die Beiträge sind im Computer, alle Moderationen fertig. Selbstsicher führt FU-Pressesprecher Christian Walther die Journalisten durch die Redaktion in der Dahlemer Villa.

1993, als die Frequenz des Soldatensenders AFN frei wurde, kam Walther auf die Idee, ein Uniradio zu gründen. Seine Idee: Die FU beantragt die Frequenz und teilt sich den Sendeplatz mit Voice of America und National Public Radio. Utopisch angesichts des enormen finanziellen Aufwandes! Die Universität konnte das Geld nicht aufbringen, und Sponsoren wollten für den Wissenschaftsfunk nicht so tief in die Tasche greifen. Stattdessen boten andere Hochschulen und studentische Radioinitiativen der FU ihre Zusammenarbeit an.

In dieser Zeit vergab die Landesmedienanstalt die Frequenz an Radio Charlie, ließ den Unis allerdings die Option auf ein tägliches einstündiges Sendefenster offen. Ein zäher Verhandlungsmarathon begann. Im Mai 1995 waren sich schließlich 13 Universitäten und Fachhochschulen über alle Modalitäten und vor allem über die Finanzierung einig. Der Jahresetat 1996 in Höhe von 340.00 Mark wurde regelrecht zusammengekratzt.

Die Unis sind so knapp bei Kasse, daß sie selbst studentische Mitbestimmung nur gegen Bares zulassen wollen: Für eine Mitgliedschaft im uniRadio-Verein sollen sich die ASten mit 10.000 Mark am Etat beiteiligen. Ein hartes Wort - käufliche Mitbestimmung für Studenten. Andererseits macht die vom uniRadio-Verein geforderte Summe die ASten mit ihrem Jahresetat von 1,3 Millionen nicht gerade arm. Christian Walther ist sich sicher, daß hier noch eine Lösung gefunden wird.

Als Vorbild für Walthers Projekt dienen die Radiostationen der amerikanischen Universitäten. Dort gehört der Umgang mit Medien zum Lehrinhalt. Das Spektrum dieser Collegeradios ist ziemlich breit. Einige produzieren anspruchsvollen Lokalfunk, andere lenken durch Beschallung der Mensaräume von der Qualität des Essens ab. In erster Linie geht es um Musik. So liest man beispielsweise auf der Internetseite von WMBR, dem Campusradio des renommierten Massachusettes Institute of Technology (MIT): Das Musikprogramm reicht von Irish Folk bis Punk. Erst dann ist von Studenten die Rede, die hier eine Ausbildungsmöglichkeit finden. Man lernt den Umgang mit Musik und dem Musikbusiness - und außerdem noch, Radiobeiträge zu recherchieren und produzieren.

Hierzulande dagegen ist deutsche Ernsthaftigkeit angesagt. Die Landesmedienanstalt (MABB) hat dem Hochschulradio einen hohen Wortanteil auferlegt. "Musikgedudel" kommt in dem einstündigen Programm mit dem Titel "Live at Five" nur am Rande vor. "Die Musik hat begleitenden Charakter. Sie soll das Wort unterstützen, aber nicht stören", heißt es im Presseinfo. Viel Wort, wenig Musik! Beiträge und Nachrichten zu aktuellen Themen aus Sicht der Wissenschaft füllen die erste halbe Stunde des Programms. Kurze Unterbrechung mit Nachrichten frisch von dpa. Die zweite Hälfte der Sendung gilt dem "Blick auf die Hochschulen, vom Studentenleben über Hochschulpolitik und Studienangebote bis zur Darstellung neuester Forschungsleistungen". Letzteres vor allem am Sonntag. Da gibt es im Wechsel Neues und Talk aus dem Elfenbeinturm - eine Stunde Wissenschaft zwischen Kaffeetrinken und Sportschau.

Die Beiträge entstehen unter Anleitung der Redakteure Heike Schüler (Uni Potsdam), Andreas Wosnitza (FU) und Manfred Ronsheimer (TU). uniRadio ist mehr ein Sender zur Selbstdarstellung der Hochschulen als ein Radio über das urbane Leben der Studenten. Alleine das vierzehntägige Samstagsmagazin "RX5" entsteht in Eigenregie der Studenten und bietet klanglich und inhaltlich Abwechslung.

Circa 16.30 Uhr: Langsam kommt Nervosität im Studio auf. Offizielle Gäste der Hochschulen treffen ein. Tagesredakteur Paul stellt fest, daß die Sendung eine Minute zu lang ist. Moderatorin Anke ist die Aufregung inzwischen deutlich anzusehen. Jemand verteilt blaue Basecaps mit dem uniRadio-Logo, und plötzlich flitzen alle, vom freien Mitarbeiter über Redakteur Andreas-Rudolf Wosnitza bis hin zum Vorsitzenden des uniRadio-Vereins, FU-Präsident Prof. Johann Gerlach, blaubemützt durch die Gänge.

Kurz vor 17 Uhr: Das Sendeteam ist auf den Plätzen, hinter dem Technikpult drängen sich die Offiziellen. Hinter dem Technikpult recken sich Hälse an den Caps der Vorderleute vorbei. 16.59 Uhr und 50 Sekunden. Radio Charlie beendet seine Sendung. "In der nächsten Stunde hören sie das uniRadio." 16.59 Uhr 57''. Es ist so still, daß man den Sekundenzeiger der Studiouhr ticken hören kann. 17 Uhr! Tonmeisterin Magaret Fottner zieht den Regler hoch. Photoapparate klicken. Der Jingle, dann die ersten Worte über den Äther: "Hallo, hier ist das uniRadio."

Eine Stunde später, um 18 Uhr, uniRadio wird abgeschaltet. Voice of America bekommt die Lufthoheit. Aufatmen. Keine Panne - außer einer falschen CD am Ende der Sendung. Sie hätten schon zwei Wochen lang Probesendungen gefahren, erzählt Moderatorin Anke Sontowski. Eigentlich konnte gar nichts schief gehen. Eigentlich. Aber dann gibt sie zu, doch "supernervös" gewesen zu sein.

Der FU-Chef, immer noch mit blauer Mütze, gibt sich ebenfalls zufrieden. Der Enthusiasmus und der Elan der jungen Journalisten hat ihn beeindruckt. uniRadio sei ein "lebendiger Impuls" in der Berliner Radiolandschaft, es sei erfrischend anders als die routinierten Sender. Eine wertvolle Ergänzung zur beruflichen, fachlichen und menschlichen Bildung, die an der Uni sonst zu kurz käme. Den Einwurf, ob denn eine Teilnahmebescheinigung des uniRadios bei der Zwangsberatung einen Aufschub erwirke, kontert Gerlach, "wer soviel Elan an den Tag legt wie die uniRadio-Mitarbeiter, wird wohl kaum in die Verlegenheit kommen, die Zwangsberatung aufsuchen zu müssen."

Doch angesichts der Arbeit, die eine tägliche Sendestunde bereitet, dürfen die "Radioten" die Uni eher selten betreten haben. Im nächsten Semester wird sich wohl kaum etwas ändern. Wer einmal Äther geschnuppert hat, wird oft süchtig.

uniRadio: Live at Five! Täglich von 17 - 18 Uhr auf Radio Charlie 87.9 Mhz

 
 
 

 
  © 1996 Werner Pluta, tip; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 08/03 wp