Prince of Hellersdorf

Hellersdorfer machen ihre eigenen Pläne. Ein britischer Architekt und Prince Charles helfen dabei

 
 
  Erschienen im tip, Heft 25/95. Im Jahr darauf stellte Bundesbauminister Töpfer das Hellersdorfer Projekt auf der Habitat-Konferenz in der Türkei als vorbildliches Wohnungsprojekt vor.  
 
 
  Klar kennt man Hellersdorf. Hellersdorf - das wird in einem Atemzug mit Marzahn genannt. Im nächsten Satz folgen die Westpendants Märkisches Viertel und Gropiusstadt. Und all das meint: Öde Betongebirge ohne Grünflächen und Spielplätze; Schlafstädte, in die die bewohner erst nach eierabend zurückkehren; Wohnfabriken mit sozialen Problemen, Vereinsamung, Vandalismus, Gewalt. Ein beliebter Filmstoff, wie im kürzlich angelaufenen Streifen "Haß".

Auch das Image von Prince Charles, des gegenwärtigen Thronfolgers des britischen Empires, ist lädiert. Der sollte sich eigentlich auf die Übernahmen der Regierungsgeschäfte vorbereiten, - ist aber mit ganzen andere delikaten Extravaganzen beschäftigt. Die britische Insel erfreut sich fast täglich an den Schlagzeilen, der Queen verschlägt es den Atem, wenn Sohn Charles den Verfall der königlichen Sitten weiter vorantreibt.

Genauer betrachtet haben Hellersdorf und Charles noch eine ganz andere Seite. Denn neben ökologischem Landbau gilt das Interesse des Prince of Wales vor allem der verkrksten Architektur vergangener Jahrzehnte. Die Frage, wie sich die Lebensbedingungen in den grauen Vorstädten verbessern lassen, beschäftigt den Prinzen schon seit längerem. Der Architekt John Thompson stieß also auf offene Ohren mit seinem weltweit bisher einmaligen Planungskonzept.

 "Community Plannig" heißt seine Alternative zum Fertiggericht "Bürgerbeteiligung". Was in Moskau, Turin, Belfast und Castle Vale zusammen mit den Bewohnern der neukonzipierten Quartiere bereits gelang, soll nun auch in Hellersdorf funktionieren. Ganz anders als das gängige Mitspracheinstrument - der Aushang fertiger Pläne - diskutieren und erarbeiten Bürger, Behörden und Wohnungsbaugesellschaft die Vorgaben für die Entwürfe. Dabei geht es einzig und allein darum, die Lebensumnstände sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum zu verbessern.

Hellersdorf hat nicht nur baulich Substanz. Entgegen aller anders lautender Vorurteile liegt das Durchschnittseinkommen in diesem Bezirk höher als in Schöneberg und Charlottenburg, und auch höher als in allen anderen Ost-Bezirken. 31.7 Prozent sind unter 15. Dafür sind nur 6 Prozent über 65, im Wedding hingegen sind es mehr als doppelt soviele. Das Durchschnittsalter der 110 000 Hellersdorfer liegt mit 29 Jahren erstaunlich niedrig. Doch nicht nur diese Zahlen widersprechen der schlechten Meinung von Hellersdorf. 54 Prozent der unter 30jährigen finden ihren Bezirk gut, bei den 44- bis 59jährigen sind es 78 Prozent. Nur in einem einzigen Punkt stimmt das Selbstverständnis mit dem Urteil von Außen überein: die Beurteilung der Wohngegend. fast alle Hellersdorfer finden das Antlitz ihres Bezriks grauenvoll.

Die Eigentümerin, die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe), will ihre Mieter behalten und hat wegen geschickter Finanzpolitik auch die nötigen Mittel. Sie lud die Bürger, Bezirks- und Senatsvertreter, Initiativen, Jugendgruppen, Nachbarschaftsvereine, Schulen und Kitas zu einem Workshop in Sachen "Community Planning" ein, um über die Zukunft der Plattenbauten zu beraten. Die Ergebnisse sind jetzt ausgestellt und der Öffentlichkeit von Prince Charles persönlich übergeben.

Herausgekommen ist eine Vision von der Zukunft des Cecilienplatzes, wie die Bewohner sie sich vorstellen: Mehr Grün und weniger Uniformität; individuelle Fassaden und Dächer statt einheitlicher Kastenformen. Ein freistehender Turm soll die Geometrie des Platzes durchbrechen. Die U-Bahnstation Kaulsdorf soll ein Glasdach erhalten.

Das soll keine Zukunftsmusik bleiben. Der britische Planungsreformer John Thompson stellt die Pläne für die ersten Dachaufstockungen und Faasadenbegrünungen noch vor Weihnachten vor. Im nächsten Jahr soll mit dem Bau begonnen werden, ebenso mit dem Turm. Spätestens im Jahre 2010 steht der Hellersdorfer, statt in einer Betonwüste, dann in einer bevorzugten Wohngegend Berlins und zeigt auf eine Ecke, auf das Dach oder auf die begrünte Fassade: "Das habe ich entworfen."

 
 
 

  © 1995 Werner Pluta, tip; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp