Die Suche nach dem Glück

William Trevor schickt den Leser auf "Felicias Reise" - die ist spannend

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 5. Oktober 1995. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Felicia ist siebzehn, stammt aus einer irischen Kleinstadt und ist ziemlich unbedarft. Als sie nach der Hochzeit ihres Bruders aus Hickeys Hotel tritt, kommt ein junger Mann vorbei und lächelt ihr zu - es ist "der Augenblick , in dem sie gewußt hat, da die Liebe beginnt".

Nach der ersten gemeinsamen Nacht ist Felicia schwanger, doch Johnny geht zurück nach England zum Arbeiten. Felicia macht sich auf die Suche nach ihm. Mit gestohlenem Geld und der vagen Information, daß er angeblich in einer Rasenmäherfabrik in Mittelengland arbeitet, setzt sie nach England über und trifft - Mister Hilditch, einen zu dick geratenen Mittvierziger mit einem grünen Auto, der sich anbietet, ihr bei der Suche behilflich zu sein.

Über fast 300 Seiten hält der irische Autor William Trevor seine Leser mit Felicias Suche gefangen. Er legt falsche Fährten und überrascht mit einer völlig unerwarteten Wendung der Handlung. Da ist beispielsweise die Rede von Mister Hilditchs Freundinnen. Junge Mädchen in Felicias Alter. Der nette Mann hat sich um sie gekümmert, ist mit ihnen ausgegangen, doch sie sind alle "gegangen". Schließlich keimt ein furchtbarer Verdacht im Leser auf. Könnte es sein, daß Hilditch die Mädchen getötet hat? Ein Verdacht, der sich verdichtet, je mehr Felicia mit Hilditch zu tun bekommt. Warum täuscht er eine todkranke Ehefrau vor, die ihm angeblich aufgetragen hat, der jungen Irin bei der Suche nach ihrem Liebhaber behilflich zu sein? Man ist geradezu versucht, selbst in den Roman hineinzusteigen, um Felicia aus den Klauen des vermeintlichen Ungeheuers zu retten. Oder ist er doch nur der nette, wenn auch etwas verschrobene Kantinenleiter? Was schließlich ist dabei, ein junges Mädchen in den Pub einzuladen oder mit ihr alle möglichen Firmen in der Umgebung abzuklappern, auf der Suche nach Johnny?"

"Felicias Reise" läßt sich in keine Schublade einordnen. Es ist die Geschichte einer Aussteigerin, ebenso wie das Sittengemälde einer irischen Gesellschaft zwischen Katholizismus und verklärter Erinnerung an den Osteraufstand 1916 oder die Beschreibung des einstmals blühenden mittelenglischen Industriereviers, das nach dem Niedergang in der Thatcher-Ära in Depression und Orientierungslosigkeit vegetiert. Ein Roadmovie und vor allem Thriller, mit allen Versatzstücken, wie jener kriechenden Spannung, die die angelsächsischen Autoren von Poe bis Highsmith so meisterlich beherrschen, genauer Beobachtung, knapper Beschreibung und schließlich einem gehörigen Maß an psychologischer Grundkenntnis.

Ob "Felicias Reise" schließlich von Erfolg gekrönt wird und sie ihren Johnny findet, bleibt das Geheimnis derer, die sich mit ihr auf die Reise begeben. Am Ende kommt es ganz anders als erwartet.

 
 
  William Trevor: Felicias Reise. Roman. Übersetzt von Thomas Gunkel. Rotbuch Verlag, Hamburg 1995. 270 Seiten, 38 Mark.  
 
 

  © 1995 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp