Das freche Mädchen kommt an die Macht

Evelyn McCune erzählt von Chinas einziger Kaiserin

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 30. November 1995. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Lange, ungemütliche Winternächte verlangen nach Büchern. Kurzweilig sollten sie sein, nicht zu dünn, möglichst bunt erzählt - und am besten noch ein wenig lehrreich. Wie zum Beispiel Evelyn McCunes historischer China-Roman "Wu Jao - Die Kaiserin".

Die Geschichte von Wu Jao versetzt den Leser ins China der Tang-Dynastie, in die zweite Hälfte des siebten Jahrhunderts. Zu einer Zeit, als die westliche Welt im tiefsten Mittelalter dahinvegetierte, herrscht in China Hochkultur. Porzellan war ebenso bekannt wie Papier, der Seeweg nach Afrika, der Kompaß und die Akupunktur; alle Sparten der Kultur blühten. Von Mittelalter in unserem Sinne also keine Spur.

Die Konkubine

Wu Jao (624-705), Heldin des Romans, stammt aus einer Aristokratenfamilie der Sui-Dynastie. Als die Tang im Jahre 618 (bis 907) die Sui stürzten, verfiel der gesellschaftliche Einfluß der Noblen der vorhergehenden Dynastie. Um ihr Ansehen bei Hofe wieder zu vergrößern, schickt Familie Wu ihre 14jährige Tochter als Konkubine an den Hof des Kaisers Taitsung (Taizong).

Bei Hofe angekommen, verstößt die impulsive Wu immer wieder gegen höfische Etikette - bis hin zu dem Sakrileg, dem Kaiser einen freundschaftlichen Knuff zu versetzen. Dieser jedoch, der Hofschranzen und Kriecher überdrüssig, findet Gefallen an der aufrechten jungen Frau. Sie wird seine Geliebte - und seine politische Beraterin. Nach seinem Tod jedoch wird sie, wie alle Hofdamen, ins Kloster verbannt, aus dem Kaotsung (Gaozong), Taitsungs Sohn und neuer Kaiser, sie zurück an den Hof holt. Unter dem neuen Kaiser, der schon früher in seines Vaters Konkubine verliebt war, steigt Wu Jao vom untersten Rang einer Konkubine zur Hauptfrau Kaotsungs, zur Kaiserin auf. Schließlich übernimmt sie selbst den Thron.

Nun haben zu allen Zeiten in China Frauen die Geschicke des Staates gelenkt. So denken die Chinesen noch heute mit Grausen an die Kaiserinwitwe Tz'u-hsi (Cixi), die um die Jahrhundertwende China im Namen des Kaisers regierte und dem Ansehen und dem Selbstbewußtsein des Landes schadete, oder an Maos vierte Frau Chiang Ch'ing (Jiang Qing), die weitgehend für die Kulturrevolution verantwortlich war.

Doch nie zuvor oder danach hat in China eine Frau unter ihrem eigenen Namen regiert. Eine Tatsache, die ihr die Historiker noch heute übel nehmen, die sie meist mit dem Attribut "berüchtigt" belegen; eine Wertung, die auch von vielen westlichen Autoren übernommen wird.

Eine Verteidigung

McCune geht es in ihrem Roman darum, das Bild von Chinas einziger Herrscherin gegen diese Verunglimpfungen durch die Nachwelt zu verteidigen. Verglichen mit anderen Herrschern pflegte Wu Jao einen eher moderaten Umgang mit Intrigen oder Mitteln zur Ausschaltung politischer Gegner.

Doch neben der historischen Rehabilitation ist Evelyn McCune mit diesem Buch vor allem ein spannender historischer Roman gelungen, der lebhaft das bunte Treiben am Hofe der chinesischen Kaiser schildert. Da machen lange Winterabende richtig Spaß, vor dem geheizten Ofen und mit einer Tasse Tee.

 
 
  Evelyn McCune: Wu Jao - Die Kaiserin. Roman. Aus dem Amerikanischen von Maria Czedik-Eysenherg. Europaverlag, München, Wien 1995. 616 Seiten, 58 Mark.  
 
 

 
  © 1995 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 03/04 wp