Von der Unfähigkeit zu lieben

Louis Begley über Wahrheit und Lüge: "Wie Max es sah"

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 4. Januar 1996. Diesen Text finden Sie auch im Internetangebot der Berliner Zeitung.  
 
 
  Eine Villa am Comer See, eine illustre Gesellschaft der amerikanischen Geldaristokratie und mittendrin Max, Juraprofessor an der Eliteuniversität Harvard. Obwohl er die Gastgeberin noch aus Collegezeiten kennt, sieht er sich "nur als Begleiter willkommen". Denn: "Bei mir hielten sich Freundschaftsbeziehungen nicht." Dieser Satz ist Programm. Doch nicht nur er, auch die anderen Figuren des Romans bleiben einsam - allein oder zu zweit.

Dauerhafte Beziehungen scheinen nicht möglich in Begleys neuem Roman "Wie Max es sah". Auch das Liebesglück scheitert immer wieder. Sei es an der mangelnden Bereitschaft der Protagonisten, sich auf einander einzulassen, oder schlicht am Betrug. Max' Freund Charlie ist mit seinem Lebensgefährten, dem schönen Toby, immerhin fast die Zeit der Romanhandlung zusammen. Max' Ehe mit der Engländerin Camilla ist zwar glücklich, doch nur von kurzer Dauer. Sie verläßt ihn, als ihr eine Stelle in London angeboten wird, und Max erfährt später, daß sie ihn mit Toby betrogen hat. Einzig Charlie versucht, den Teufelskreis zu durchbrechen. Mehrmals trägt er Max seine Freundschaft an, die dieser, wenn auch zögernd, annimmt. Als sein Lebensgefährte Toby erkrankt, setzt Charlie ein schier unglaubliches Zeichen, das dem Todgeweihten aber nicht mehr helfen kann. Er hat Aids.

Wie Begleys Erstling "Lügen in Zeiten des Krieges" hat auch "Wie Max es sah" das Vexierspiel aus Wahrheit und Lüge zum Thema. Wer aber will Wahrhaftigkeit von Menschen erwarten, die in Zeiten der Lüge leben? Es ist ein Zeitalter der Desillusionierung, in dem der Roman spielt: Er beginnt am 9. August 1974, als US-Präsident Nixon wegen des Watergateskandals zurücktreten mußte. "Ich hatte auf diesen Augenblick lange gewartet", sagt Max, "aber die Zufriedenheit, die ich mir von der Blamage des Ungeheuers erhofft hatte, wollte sich nicht recht einstellen. Ob er sich wohl schämte, während er seine vollkommen nichtssagenden, nichts erklärenden Worte machte?" Die Geschichte endet 1989, in dem Jahr, als die Reformbewegung der chinesischen Studenten blutig niedergeschlagen wurde und das starre System des Ostblocks zerbrach.

"Wie Max es sah" ist ein Roman über Distanz und Nähe in unserer Zeit, über die Unfähigkeit, dauerhafte Verbindungen aufzubauen. Letztlich ein moralisches Buch. Doch Begley geht es nicht um Wertung, sondern ums Erzählen. Das sagt über die Figuren sehr viel mehr aus, als eine moralische Verurteilung es könnte.

 
 
  Louis Begley: Wie Max es sah. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 206 Seiten, 36 Mark.  
 
 

  © 1996 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp