Blick zurück im Zorn

Ein verspäteter und anderer Nachruf auf Ernst Jünger

 
 
  Erschienen im Ostsee-Anzeiger am 22. April 1998.  
 
 
  Ernst Jünger, Deutschlands dienstältester Schriftsteller, starb am 17. Februar im Alter von 102 Jahren. Er war eine schillernde Persönlichkeit, hofiert nicht nur vom Feuilleton und diversen Kulturschaffenden, sondern auch vom Kanzler und anderen demokratisch legitimierten Politikern - ungeachtet der Tatsache, daß er bis zum Ende seines Lebens Antidemokrat geblieben ist.  
 
  Bekannt wurde Jünger in den Zwanziger Jahren durch seine literarische Verarbeitung des verlorenen Weltkrieges und durch seine Parteinahme für die außerparlamentarische Rechte. Seine letzten Lebensjahrzehnte verbrachte er zurückgezogen in Wilflingen in Oberschwaben.

Die Flucht

Im Alter von achtzehn Jahren stand eine Tat, die einen roten Faden bilden sollte durch das Lebensjahrhundert Jüngers: Jünger flieht aus Schule und Elternhaus - in die Fremdenlegion, nach Algerien. Noch im selben Jahr machten die Bemühungen seines Vaters den "Afrikanischen Spielen", so der Titel des Buches, in dem er später die Erlebnisse bei der Fremdenlegion beschrieb, eine Ende. Dann dauerte es nur ein knappes dreiviertel Jahr, bis das Leben des Ernst Jünger begann: Am ersten August 1914, dem Tag der deutsche Generalmobilmachung und der Kriegserklärung an das Zarenreich, meldet sich der Neunzehnjährige freiwillig.

Vier Jahre nach Kriegsende - in Berlin und Weimar regiert die von vielen ungeliebte demokratische Regierung - erscheint Jüngers literarische Verarbeitung des Krieges, "In Stahlgewittern". Die "Stahlgewitter" wurden ein Bestseller, bei den Rechten war es Pflichtlektüre. In ihren Augen sagte hier einer die Wahrheit über den Krieg. Über Tapferkeit, Kampfgeist und Opferbereitschaft der deutschen Soldaten in den Schützengraben von Flandern und Verdun. Jünger gewann den Krieg - auf dem Papier -, und erhielt viel Beifall dafür von denjenigen, für die der Krieg 1918 nicht zu Ende war, die sich unter dem schwarz-weiß-roten Banner und der Parole "Deutschland muß von Frontkämpfern regiert werden" scharten. Jünger selbst war für ein halbes Jahr Offizier in einem Freikorps.

In der Folgezeit avancierte er zum Wortführer der Nationalrevolutionäre, einer ultrarechten Gruppierung, die mit dazu beitrug, den Nazis den Weg zu ebnen. Auch während der NS-Zeit wurden seine Werke gedruckt und gelesen. Angeblich rettete Hitler den Autor der "Stahlgewitter" sogar persönlich vor dem Zugriff der Gestapo, die ihn wegen des Romans "Auf den Marmorklippen" (1939) verhaften wollte.

Jagd und Kampf

Jünger liebte Jagd und Kampf um ihrer selbst willen, sie waren ökonomischen und politischen Zwängen enthoben, die Jagdbeute war ihm egal: "Nicht wofür wir kämpfen ist wichtig, sondern wie wir kämpfen." Ein solcher, rein ästhetischer Standpunkt erlaubt keine Kritik an realen Zuständen, und so bleibt auch "Auf den Marmorklippen", Jüngers sogenannte Abrechnung mit den Nazis, eine Farce. Er kritisierte zwar die Existenz von Konzentrationslagern; doch indem er die Wiederkehr derartiger Grausamkeiten als historisch notwendig darstellte, beugte er sich ihnen.

Wie so viele Intellektuelle, die sich 1933 verstrickt hatten, schwieg Jünger nach 1945. Oder auch nicht: Im 1967 erschienenen Buch "Subtile Jagden", ein Werk über das Hobby Jüngers, die Entomologie, sind Wortwahl und Metaphorik dieselben geblieben wie in den "Stahlgewittern". Nur das Ziel der Jagd hat sich verändert - Käfer statt Menschen. Eine politische Standortbestimmung lieferte er in einem Spiegel-Gespräch 1982: Der Holocaust, so der Theoretiker der "Totalen Mobilmachung" (Essay-Titel), sei ein logistischer Fehler gewesen sei, der Deutschland wahrscheinlich den Sieg gekostet habe. Sich selbst bezeichnete er als loyalen, aber nicht begeisterten Bundesbürger, dessen Realität nach wie vor das Deutsche Reich sei. Um so fragwürdiger die Hofierung durch Politiker, die sich selbst als demokratisch legitimiert bezeichnen.

Jüngers Werk

Ein roter Faden zieht sich durch Jüngers Werk: die Suche nach der Grenzsituation, der Versuch, auf des Messers Schneide zu balancieren. Entsprechend auch die Wahl der Worte: Von Ekstase ist die Rede, von Rausch, Blut und vom Eros. "Oh Leben du! Noch einmal, einmal noch, vielleicht das letzte! Raubbau treiben, prassen, vergeuden, das ganze Feuerwerk in tausend Sonnen und kreisenden Flammenrädern verspritzen, die gespeicherte Kraft verbrennen vorm Gang in die eisige Wüste." (Der Kampf als inneres Erlebnis) Das Individuum tritt aus sich heraus. "Damals fühlte wohl jeder das Persönliche sich auflösen." (In Stahlgewittern) Es wirft sich hinein in "Feuer und Bewegung" (Essay-Titel).

Wohlgemerkt, diese Grenzsituationen sind rein ästhetische Erfahrungen. Das Andere, das Unvergleichbare zum alltäglichen Leben. Dessen Maßstäben entzogen - ökonomischen ebenso wie politischen und moralischen. Vor allem letztere kümmerten Jünger wenig. In seinen Lobeshymnen auf die Technik, vor allem in dem 1932 erschienen Werk "Der Arbeiter", betrachtete er die Opfer des technischen Fortschrittes als Ausfälle, die notwendig und damit nicht zu beklagen sind.
Im "Arbeiter", von dem er sich nie distanziert hat, entwirft Jünger eine Gesellschaft, die die nationalsozialistische vorweg nahm: die vollkommene Umfassung des Menschen durch den Staat, die Ästhetisierung des Lebens durch Kampagnen, Uniformen, Aufmärsche.

Undemokrat

Jünger war kein Nazi im Sinne eines Bormann oder Rosenberg. Er war zu sehr Ästhet, um sich auf diese Weise die Finger schmutzig zu machen. Aber viele seiner Vorstellungen sah er im Nationalsozialismus umgesetzt, gesellschaftliche wie ästhetische. Die Reichsparteitage kommen dem Bild der in ein Ornament gebrachten Massen sehr nahe; seine Figur des Arbeiters schaut einem in den düster dreinblickenden, entindividualisierten Statuen eines Joseph Thorak oder eines Arno Breker entgegen - letzteren feierte Jünger übrigens noch vor einigen Jahren in Lutz Dahlmanns Breker-Dokumentation "Zeit der Götter" (1993).

Mag sein, daß sich Jüngers Werke von den seinerzeit üblichen "Blut-und-Boden"-Machwerken abhoben. Mit den wichtigen Romanen des Jahrhunderts - beispielsweise den Werken von James Joyces, Marcel Proust oder Franz Kafka - können sie sich nicht messen. Zu maniriert war seine Sprache, zu konventionell und platt seine Metaphern, zu banal die Aussage seiner Texte.

 
 
 

 
  © 1998 Werner Pluta, Ostsee-Anzeiger; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp