Very British
 
 
  Erschienen in smile, dem "Schweizer Magazin über Internet, Lifestyle und Entertainment", Heft 6/98.

Eigentlich keine echte Buchrenzension. Eine CD ist schließlich kein Buch. Andererseits bleibt sich die Britannica auch multimedial selbst treu. Also doch ein Buch - irgendwie

 
 
 
  Einst war die Encyclopaedia Britannica die Inkarnation des edlen Lexikons, das von Strassenverkäufern in Türarbeit verkauft wurde. Tempi passati: Die Encyclopaedia macht auf Multimedia. Allerdings verweist der Verlag darauf, dass das Lexikon ein "research tool" sei und kein Instrument zur Freizeitgestaltung. Dementsprechend unterkühlt wirken die Multimedia-Inhalte.

Vor zwei Jahren bekam der interessierte Besucher auf der Frankfurter Buchmesse auf die Frage nach Multimedia-Elementen noch die leicht pikierte Antwort, die Encyclopaedia Britannica (www.eb.com) sei ein Research-Tool und kein Instrument zur Freizeitgestaltung. Diesem bleibt Anspruch die auch die "Britannica Multimedia Edition" treu. Das Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf den Texten. 72.484 Artikel enthält das digitale Lexikon, über 3000 mehr als die Printausgabe. Die "wahre Multimedia-Erfahrung" beschränkt sich hauptsächlich auf Bilder und Internet-Links. Filme und Töne sind selten.

Klassiker für moderne Leute

"Knowledge for the information age" verspricht die Britannica, weshalb sie nicht nur die üblichen Klassiker, wie Goethe, Hegel und den Impressionismus kennt, sondern auch Premierminister Tony Blair, den Todestag von Lady Di, Marshall McLuhan und ADSL.

Hinter "Ask Britannica" verbirgt sich eine Volltextsuchmaschine, die das Durchsuchen der über 70.00 Dokumente gegenüber der Printausgabe vereinfacht. Sie findet nicht nur das gesuchte Stichwort selbst, sondern ordnet es auch in einen Kontext ein: Zu "Camp David" liefert sie beispielsweise ausser einer Beschreibung des Landsitzes des US-Präsidenten auch eine ganze Reihe von Artikeln zum Israelisch-Ägyptischen Friedensabkommen sowie zum Nahost-Konflikt. Sie pickt sich sogar aus ganzen Sätzen Schlüsselwörter heraus. "What is reality?" wird mit Hinweisen auf die traditionelle Metaphysik und virtual reality beantwortet. Wer weniger den zielgerichteten Zugriff auf eine bestimmte Information schätzt, kann auch einfach nur surfen - im Internet Jargon: "Browse the Britannica".

Interaktiv geht's im Analysten zu, der Abfragen und Vergleiche von Länderstatistiken ermöglicht: Wie sieht die Wirtschaftskraft der Schweiz gegenüber jener der Vereinigten Staaten aus? Die Alphabetisierungsraten von Antigua und der Elfenbeinküste im Vergleich? Der Compass ist ein Weltatlas mit Karten und Informationen von Afghanistan bis Zimbabwe.
Multimedial wird es dann doch noch in den Spotlights. Die Abteilung bietet "in-depth multimedia treatments on topics of general interest", z.B. eine Übersicht über die verschiedenen Ökosysteme der Erde, die Geschichte der Dinosaurier oder den Amerikanischen Bürgerkrieg. Grossechsen, denen man die Haut "an-" und "ausziehen" kann, Bewegungsanimationen, animierte Karten, die dem Frontverlauf im Bürgerkrieg veranschaulichen.

Vielleicht um den Ruf als unverwässertem Standardwerk gerecht zu werden, finden sich in den Spotlights auch einige Britannica Classics: eine Shakespeare-Biographie aus der zweiten Auflage im Jahre 1777 oder Artikel bekannter Intellektueller, die den Ruf des britischen Mammutwerkes begründeten. Die Britannica ist nicht die Encarta: Sie dient zum Recherchieren und ist keine Infotainment-CD. Dennoch lohnt die Investition von 350 Franken (125 englische Pfund) auf jeden Fall.

 
 
 

  © 1998 Werner Pluta, smile; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp