Prozeß gegen Shanghaier Programmierer wieder aufgenommen

Der Prozeß gegen den Shanghaier Programmierer Lin Hai ist heute wieder eröffnet worden. In dem Verfahren soll geklärt werden, ob die Weitergabe von 30.000 E-Mail-Adressen in die USA den Tatbestand der Anstiftung zum Sturz der Regierung erfüllt. Die Öffentlichkeit ist zu der Verhandlung nicht zugelassen.

 
 
  Erschienen im inzwischen abgeschalteten Online-Nachrichtenangebot Newsboard.de am 4. Dezember 1998.  
 
 
  Was wahr und berichtenswert ist, bestimmt in der VR China weitgehend die Regierung. Vor allem aber bestimmt sie, was nicht berichtenswert ist. Umso empfindlicher reagiert die Staatsmacht, wenn ihr Nachrichtenmonopol unterlaufen wird. So auch im Falle des Shanghaier Programmierers Lin Hai, der im April verhaftet worden war, weil er 30.000 chinesische E-Mail-Adressen an das in den USA herausgegebene Dissidentenmagazin Da Can Kao (VIP Reference) weitergegeben hatte. An die Mail-Adressen wurden Nachrichten geschickt, die in den staatlichen Medien nicht erwähnt werden.

Daraufhin wurde Lin Hai im April verhaftet und im Juli angeklagt; im September wurde das Verfahren ausgesetzt. Seit heute wird vor dem Ersten Mittleren Volksgericht in Shanghai in einem nicht-öffentlichen Verfahren gegen den 30jährigen Inhaber eines Software-Unternehmens wegen Anstiftung zum Aufruhr gegen die Staatsmacht verhandelt. Sollte Lin Hai schuldig gesprochen werden, drohen ihm mindestens 10 Jahre Haft, im schlimmsten Fall sogar die Todesstrafe.

Lin Hai stehen vor Gericht lediglich zwei Anwälte zur Seite. Seine Frau Xu Hong ist nicht zur Verhandlung zugelassen. Sie hatte sich vergeblich bei Präsident Jiang Zemin und bei Premierminister Zhu Rongji darum bemüht, die Öffentlichkeit zum Verfahren zuzulassen. Offizielle Stellen begründen den Ausschluß der Öffentlichkeit damit, daß der Fall innere Angelegenheit der Regierung berühre.

Angesichts dieses und einiger anderer Verfahren gegen Dissidenten wertet Xiao Qiang, Chef in New York ansässigen Organisation Human Rights in China, die Unterzeichnung des Abkommens zum Schutz der bürgerlichen Rechte durch China vor zwei Monaten als "leere Geste".

Das Verfahren gegen Lin Hai legt nahe, daß die Regierung in Beijing zunehmend Angst vor den frei zugänglichen Informationen aus dem Netz hat. Erst kürzlich hackten zwei Amerikaner einen der Server, auf denen Filterprogramme installiert sind, die ausländische Web-Angebote blockieren. Sie bezeichneten den Hack als Solidaritätsaktion für Lin Hai.

 
 
 

 
  © 1998 Werner Pluta, Newsboard.de; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 01/02 wp