Mit Volldampf durch China

Ein Journalist und ein Photograph folgen den Spuren der letzten Dampfloks in China

 
 
  Die Dampflok - Traumarbeitsplatz vergangener Generationen - ist in Zeiten von Hochgeschwindigkeitszügen und Magnetschwebebahnen nur noch im Freiluftgehege der Museumsbahnen anzutreffen. In freier Wildbahn ist das Dampfroß hierzulande nicht mehr zu finden. Selten geworden ist der Anblick einer in den Winterhimmel aufsteigende Dampffahne, der Klang dampfgetriebener Zylinder, das Stampfen der Treibstangen oder das Abblasen des Dampfes. Schlechte Zeiten für die Anhänger der schwarzen, schnaubenden Maschinen.

Für rare Glücksmomente muß der Dampflokfan heutzutage allerlei Unbill auf sich nehmen. Er darf weder Kosten, noch Mühen scheuen, muß Kälte und Behörden trotzen. Der Deutsche Torsten Sewing und und der Ire Eric Langhammer nahmen das auf sich und begaben sich auf die Reise nach China, den letzten Dampfrössern auf der Spur. Allein oder zusammen mit anderen Fans verbrachten sie einsame Stunden an den Strecken der chinesischen Staatsbahn, stritten mit "Beamten des öffentlichen Friedens", wie Polizisten in China heißen, froren bei Temperaturen von minus 20 Grad und kälter in der Manzhurei und erholten sich schließlich bei tropischen Temperaturen auf der Insel Hainan ganz im Süden.

Das Ergebnis dieser Reise ist bei dem Brandenburgischen Verlagshaus unter dem Titel "Mit Volldampf durch China. Den letzten Dampfloks auf der Spur" erschienen.

Photograph Langhammer gelangen beeindruckende Bilder: mit drei Loks bespannte Güterzüge, die sich Berge hinauf quälen, zwei Dampfloks im Bahnhof von Chengde im morgendlichen Gegenlicht, ein Zug in freier Landschaft gegen den Vollmond. Der Vergleich mit den wenigen Bildern aus Sommertagen oder von Hainan verdeutlicht das innige Verhältnis des Fans zum Winter: Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt zeigen sich die Maschinen von ihrer besten Seite - mit meterhohen Dampfwolken, die noch in der Luft hängen, wenn der Zug längst um die nächste Biegung verschwunden ist.

Im Gegensatz zu den hiesigen Modellen, die nur schnöde Nummernbezeichnungen wie 001 oder 050 trugen, hören die chinesischen Dampfloks auf geradezu lyrische Namen: Jianshe - Aufbau, Jiefang - Befreiung oder Qianjin - Fortschritt heißen die Baureihen. Begriffe, die häufig im offiziellen Sprachgebrauch auftauchen. Aber wo sonst kommen sie der Wahrheit so nahe? Der Fortschritt beim Aufbau des Landes nach der Befreiung im Jahre 1949 wäre ohne die Eisenbahn kaum möglich gewesen. Autor Sewing vergleicht den Stellenwert der Eisenbahn in China mit der Erschließung des amerikanischen Westens.

Überhaupt der Textteil: Aus jeder Zeile spricht der Enthusiasmus und die Liebe zur Maschine, aber auch Sachkenntnis der Materie. Sei es die Herkunft der verschiedenen Bautypen oder das Aufspüren des letzten noch produzierenden Dampflokwerkes der Welt in Tangshan, östlich von Beijing.

Dennoch: Das Buch vermittelt nur einen entfernten Eindruck von der Schönheit der Dampfrösser, die oft genug von ihren Besatzungen nach eigenem Gutdünken geschmückt werden. Wahrscheinlich weiß ohnehin nur derjenige die Bilder zu schätzen, der selbst stundenlang auf der Lauer gelegen hat, um eine Qianjin über einen meterdick vereisten Fluß dampfen zu sehen.

Wie alle Fanatiker lächeln auch die Dampflokomotivisten nur müde über die Einwände Außenstehender. Diese hingegen stehen kopfschüttelnd und ratlos vor der Begeisterung der anderen für den Krach und den Gestank nach Öl und Kohle, nur um einen Blick in ein Bahnbetriebswerk irgendwo in den Weiten der Manzhurei zu erhaschen. Unverständlich sind ihnen die geradezu lyrischen Anwandlungen der Technikfreaks - und das auch noch bei Sonnenaufgang und sibirischer Kälte: "Wer noch niemals die Atmosphäre an einem solchen Ort gerochen, gesehen und gehört hat, weiß nicht, was die Dampflok sein kann. Die Magie eines Depots, in dem bis zu 30 Dampfloks gleichzeitig unter Dampf stehen, läßt sich auch in Fotos nur unvollkommen darstellen."

Für einen solchen Anblick lassen sich die Fans von nichts abschrecken - nicht einmal von den Verboten der Behörden, wie die Erzählung von Heinrich Hubbert beweist: Heinz entdeckte auf einer seiner Touren auf der Suche nach dem verlorenen Dampf eine bis dahin noch praktische unbekannte Strecke nahe Jiayuguan am Ostrand der Wüste Taklamakan. Trotz wütender Proteste der Eisenbahnpersonals wegen der fehlenden Alien Travel Permit, blieb Heinz im Zug sitzen. Seine Sturheit wurde mit beeindruckenden Bildern belohnt. Wie der Zugsilhouette über einem tiefblauen Bergfluß.

Doch bei allem Kult um den Dampf - das Photo, das China am besten repräsentiert, ist wohl das auf dem Vorsatzblatt: Ein Mann mit Holzbrettern auf dem Rücken, läuft, vor der Silhouette moderner Betonbauten, auf den Eisenbahnschienen entlang.

 
 
  Torsten Sewing (Text) und Eric Langhammer (Photos): Mit Volldampf durch China. Den letzten Dampfloks auf der Spur. Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1996. 68 Mark.  
 
 

  © 1997 Werner Pluta; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp